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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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träumte von dem kurzen Glück, lauschte wohl auch auf das zarte Spinettspiel der Bürgermeistertochter Marie und dachte an das Gespräch, das er vor Monaten dabei mit Willi Bendler geführt hatte – aber den größten Teil seiner Freizeit und der Abende saß er hinter der Tranlampe oben in seiner Kammer, hatte den Tisch nahe an den Ofen gerückt und schrieb die halbe Nacht hindurch an einem kleinen Buch voll Gedichten. Er hatte es gleich nach seiner Rückkehr aus Dresden im Januar begonnen und nannte es ›Vermischte Kleinigkeiten‹, eine kleine Sammlung lyrischer und philosophischer Gedichte, ab und zu auch eine scharfe Satire – aber die Mehrzahl der Verse atmeten den Eishauch seines einsamen Herzens und die ungestillte Sehnsucht nach Licht, Luft und Freiheit seiner gequälten und getretenen Seele.
    Wenn er dann erschöpft den Gänsekiel in den Halter steckte, sich reckte und die brennenden Augen rieb, war es meist der Weg durch den nächtlichen Garten, der seinen müden Körper erfrischte. Die Kälte des Schnees, mit dem er oft sein heißes Gesicht rieb, die Stille, die alles umgab, und nur das leise Knirschen seiner Schritte belebten ihn neu und senkten ihm Ruhe in die aufgewühlten Gedanken.
    So war es auch in dieser Nacht vom 7. zum 8. Februar 1835.
    Otto Heinrich, der die Enge seiner Kammer verlassen hatte und den Kopf mit den noch ungeborenen, verwirrten Versen kühlen wollte, schritt langsam zu der dunklen Laube und lehnte sich von außen an die morsche Tür.
    Ein klarer Himmel zog sich über die Berge. Unübersehbar glitzerten die Sterne, die Milchstraße spannte sich in weitem Bogen über bewaldete Kuppen. Klirrender Frost krachte in den Hölzern der Bäume.
    »Eine schöne Nacht«, murmelte Kummer und schaute in den Himmel. »Eine Märchennacht, wenn sie zwei Liebende erleben …«
    Er stockte, als schmerze ihn der Gedanke. Er fuhr sich mit der rechten Hand über die Augen, klinkte die Tür der Laube auf und trat ein.
    Kaum hatte er den ersten Schritt in die Dunkelheit des Raumes gesetzt, blieb er stehen und lauschte.
    Das unerklärliche, prickelnde Gefühl, nicht allein zu sein, kletterte in ihm empor bis zur Kehle.
    Er hielt den Atem an und lauschte.
    Ein fremder, leiser Atem stand in der Dunkelheit.
    »Ist dort jemand?« fragte er mit zugeschnürter Stimme.
    »Otto Heinrich?« antwortete ihm ein Flüstern von der Stelle, wo sich die schmale Holzbank hinter den Tisch zog.
    Das Flüstern war dunkel. Ein Mädchen war es nicht … der sekundenschnelle Gedanke, es könnte Trudel sein, verflog.
    Otto Heinrich tastete sich bis zum Tisch vor und versuchte aus der Dunkelheit einen Schatten herauszuschälen.
    »Wer bist du?« fragte er ein wenig sicherer. »Maltitz?«
    »Nein. – Willi Bendler!«
    »Bendler!«
    Otto Heinrich rief es laut und stürzte nach vorn dem Freund in die Arme.
    »Pssst!« Bendler drückte Kummer an seine Riesenbrust und hielt ihn dann von sich ab. »Nicht so laut, mein Freund. Ich bin vogelfrei – juchhe –, ein jeder kann mich abknallen und bekommt für diesen Mord auch noch Dukaten!«
    Er schwieg und setzte sich auf die Bank. Otto Heinrich lehnte sich vor ihm an den Tisch.
    »Wie gefällt es dir in der Freiheit, Bendler?« fragte er langsam.
    »Wie ein Hirsch in der Brunst! Nur sollten die Jäger das Jagdverbot erhalten. Du wirst durch Seditz schon gehört haben, was ich treibe!«
    »Du hast meinen Vater gerettet …«
    »Ungewollt …«
    »Wenn auch – ich stehe tief in deiner Schuld! Du hast mit der Spionin ein gutes Werk getan.«
    Der Riese neigte den schweren Kopf. Er fuhr sich über das Kinn, und das Kratzen verriet, daß er seit Tagen unrasiert war.
    »Ob gut oder nicht gut – man kennt meine Spur! In Preußen war es heiß, nach Bayern will ich nicht – dort sind die Bäume so hoch –, und in Sachsen trifft mich das neue Friedensgesetz des Königs! Was tun? sprach Zeus! Ich wandere des Nachts und schlafe am Tage unter dem Stroh in den Scheunen und fange mir in Schlingen das Wild, um etwas zwischen den Zähnen zu haben. Ein Leben, bester Freund, das Schiller gekannt haben mußte, als er seine ›Räuber‹ schrieb. Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne … dieser Idealist! Aber was rede ich – seit Stunden sitze ich hier wie ein Huhn auf der Stange und warte auf dich. Ich wußte, daß du kommst, denn ich beobachtete dich seit zwei Tagen. Gehst des Nachts in den Garten und starrst in die Sterne! – Großer Weltschmerz, mein Freund?«
    Otto Heinrich
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