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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen
Autoren: Richard Dawkins
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gemacht. Und obwohl er dazu manche Zusammenhänge radikal vereinfacht, hat dieser Ansatz inzwischen kreatives Weiterdenken provoziert. Zu Protest provoziert fühlten sich hingegen manche Fachvertreter, sei es, weil Dawkins sich nicht auf eine chemische Gendefinition festlegt, sei es, weil man nur ein personifiziertes Gen „egoistisch“ nennen dürfte. Tatsächlich verwendet Dawkins viele Begriffe aus der beschreibenden Alltagssprache, die ein bildliches Verstehen fördern, die aber nicht beliebig wörtlich zu nehmen sind. (Auch ein Arzt sagt ja wohl, jemand sei an gebrochenem Herzen gestorben, ohne damit materielle Bruchstellen in diesem Organ zu meinen.)
    Freilich, wer nach Kritikpunkten sucht, kann an diesem Buch einen weitgehenden Verzicht auf die Grundlagen der Populationsgenetik bemängeln. Freilich ist es strenggenommen unzulässig, so zu tun, als vollzöge sich Evolution nur jeweils an einem Gen. Freilich ist es gefährlich, den Leser glauben zu lassen, er würde mit der Lektüre dieses Buches zu einem Fachmann, zumal die fast charismatische Darstellungsweise diesem Glauben eher förderlich ist. Das Buch ist kein Referenzwerk zur genetischen Theorie der Evolution. Bezeichnenderweise richtet sich die laute Kritik aber weniger gegen die hier geschilderten Fakten als gegen die daraus zu ziehenden Folgerungen. Diese Kritik erscheint eher wie ein Ausweichmanöver vor den Konsequenzen, die man sich einhandelt, falls man die Grundargumente ernst nimmt. Das widerfuhr schon E. O. Wilson, als er seine (inzwischen weltweit akzeptierte) Soziobiologie vorstellte und dafür vom Publikum mit Wassergüssen bedacht wurde. Dabei sind Wilsons soziobiologische Thesen noch vergleichsweise harmlos; die Idee von den evolutionär stabilen Strategien, durch die gewissermaßen auch das Böse unter Naturschutz gestellt wird, kommt darin noch nicht vor. Dawkins’ Ansatz ist viel beunruhigender. Und er schildert nicht Sciencefiction, wie mancher hofft, sondern Realität.
    Zu Grabe getragen wird zunächst mit vehementer Begleitmusik die verbreitete Wunschvorstellung einer guten, in sich harmonischen Mutter Natur. Dawkins schildert die Zwangsläufigkeiten von Kooperation und Konflikten, und zwar allgemein zwischen den Individuen, den Geschlechtern, den Generationen (zum Beispiel zwischen Mutter und Kind), aber auch zwischen Genen und kulturellen Verhaltensprogrammen.
    Sein Buch handelt auch von den anderen Programmen, die nicht in den Genen, sondern in den Hirnen gespeichert und vervielfältigt werden; die nicht über die Keimzellen, sondern durch Tradition in neue Trägerindividuen gelangen; die sich nicht durch Zeugung, sondern durch Überzeugung ausbreiten; und die dazu ein ganz anderes Verhalten vom Individuum brauchen, als es den genetischen Programmen für ihre Ausbreitung nützlich ist. Kein Wunder also, daß Kultur nicht immer die Fortpflanzung begünstigt. Jedes falsche, also nicht der Programmausbreitung dienliche Verhalten wird automatisch eliminiert; als Evolution wirkt sich das aus, wenn das erfolgreichere Programm an künftige Generationen weitergegeben werden kann und dort unter bestimmten Umweltbedingungen entsprechend erfolgversprechendes Verhalten entwickelt. Wie das Programm zur nächsten Generation gelangt, ist prinzipiell egal. Natürliche Selektion ist auch unter tradierten Programmen wirksam, dort auf der Ebene der „Meme“, wie Dawkins die den Genen analogen Einheiten kultureller Programme nennt. Ergebnis ihrer Evolution ist schließlich auch das Kantsche moralische Gesetz in uns. Wir werden uns an das Bild gewöhnen müssen, das den einzelnen Menschen zeigt als ausführendes Organ für mehrere, oft gegeneinander arbeitende Verhaltensprogramme, die es heute deswegen noch gibt, weil sie in der Vergangenheit ihre Träger entsprechend erfolgreich programmiert haben. Solche Programme richten sich zuweilen gegen uralte genetische Programme, sie sind, wie die Geburtenbeschränkung, „unnatürlich“. Ebenso unnatürlich ist der Wohlfahrtsstaat, der in seiner Evolution instabil ist, weil er (nahezu naturnotwendig) von egoistischen Tendenzen der Individuen ausgebeutet und unterlaufen wird. Daß wir unser Großhirn dem Nutzen verdanken könnten, der aus dem Übertreten der Zehn Gebote erwächst, ist eine von den unbequemen Denkmöglichkeiten, die hier angeboten sind.
    Die elegante Übersetzung dieses an- und aufregenden Buches läßt auch die deutsche Öffentlichkeit an einer Erkenntnissuche teilnehmen, die sich bislang
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