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Das Echo Labyrinth 05 - Einfache Zauberdinge

Titel: Das Echo Labyrinth 05 - Einfache Zauberdinge
Autoren: Max Frei
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Freund für einen der besten zeitgenössischen Dichter hielt, ließ mich aus allen Wolken fallen, denn ich hatte Ande Pu nie im Verdacht gehabt, literarisch talentiert zu sein. Wenn er zu rezitieren begann, hatte ich regelmäßig weggehört - nicht zuletzt, weil er beim Vortrag seiner Gedichte meist schon schwer berauscht war. Ich fürchte, ich war insgeheim überzeugt, ein echter Dichter müsse groß gewachsen und bildschön sein und flammende Blicke werfen, aus denen sein inneres Feuer loderte. Auch sollte ihn eine Aura von Geheimnis umgeben. Und betrunken sollte er sicher nicht sein.
    Plötzlich wurde es still. Ein schüchterner, aber sympathisch wirkender Mann mit grauem Bart betrat die Bühne.
    Seine Gestalt entsprach immerhin teilweise meiner Vor-
    Stellung von einem Dichter, denn er war groß, und ihn umgab die Aura des Genies. Nur sein Blick war alles andere als flammend, doch das lag womöglich an seiner Brille. Seine Gedichte waren hinreißend. Ich hatte nicht erwartet, in diesem so nah am Platz der Theater und Amüsierlokale gelegenen Wirtshaus etwas so Gutes zu hören.
    Noch ein paarmal im Laufe des Abends war es vollkommen still, doch die Gedichte der anderen Meister bewegten mich nicht mehr so sehr. Vielleicht hatte ich meinen lyrischen Überschwang bereits beim Durchleben der ersten Gedichte verbraucht.
    »Max, seit einer halben Stunde siehst du furchtbar aus«, sagte Lonely-Lokley. »Geht's dir nicht gut?«
    »Es ist etwas Schreckliches passiert. Ich habe gute Gedichte gehört, und sie haben mich erschüttert. Die nächsten Stunden werde ich nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden können. So ein Zustand überkommt mich selten, doch wenn er mich packt, dann intensiv. Wie heißt eigentlich der Bärtige mit der Brille?«
    »Wen meinst du genau? Hier tragen fast alle einen Bart.«
    »Ich meine den Dichter, bei dessen Auftritt es zum ersten Mal ganz still war.«
    »Ach, das war Sir Kiba Kimar«, sagte Ande Pu. »Haben dir seine Verse wirklich gefallen, Max?«
    »Warum fragst du?«, gab ich betrübt zurück, denn in seiner Stimme hatte etwas Ungläubiges gelegen.
    »Na ja, es heißt, nur echte Kenner könnten seine Gedichte verstehen. Selbst ich finde manchmal keinen Zugang zu ihnen. Am stärksten berührt mich seine Poesie, wenn ich davor im Alten Dom getäfelt habe.«
    »Auch ich glaube, dass Kiba Kimar zu den besten Dichtern gehört«, ließ Schürf sich vernehmen. »Er schreibt nur über Dinge, die wirklich Bedeutung haben, und seine Verse regen zum Nachdenken an. Es ist übrigens unmöglich, seine Gedichte auswendig zu lernen - das habe ich schon mehrmals feststellen müssen. Darin ähneln sie uralten Zaubersprüchen.«
    Gebannt lauschte ich Lonely-Lokley und enthielt mich jeglichen Kommentars. Man verzeihe mir die abgegriffene Formulierung, aber die Dichtung hatte mich so verzaubert, dass ich mein Schweigen genoss.
    Kurz vor Mitternacht traute sich Ande Pu auf die Bühne, und ich schwor mir, ihm aufmerksam zuzuhören.
    Seine Gedichte wären gut gewesen, wenn hinter ihren gesuchten, kühn gedrechselten und meist schwer verständlichen Formulierungen etwas wirklich Interessantes gesteckt hätte. Doch unter der dünnen Schicht kunstvoll zusammengefügter Worte verbarg sich nur eine unendliche Einsamkeit und die stets gleiche Klage: Warum liebt ihr mich nicht, obwohl ich so wunderbar bin? Als ich noch auf der Erde lebte, hatte auch ich eine Zeit lang solche Verse verfasst.
    »Es macht Spaß, dir beim Zuhören zuzusehen«, sagte Lonely-Lokley zu mir. »Du hast so ein geniertes Gesicht. Man könnte glauben, Ande trüge deine lyrischen Jugendsünden vor.«
    »Gefallen dir seine Verse etwa?«, fragte ich schroff.
    »Natürlich. Ande ist offensichtlich ein hochtalentierter Poet«, sagte Schürf mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete.
    »Ja«, seufzte ich ergeben. »Natürlich.«
    Ich wollte nicht mit ihm streiten, denn mit Lonely-Lokley zu diskutieren, wäre pure Zeitverschwendung gewesen.
    Wie dem auch sei: Ande Pu beendete seinen Auftritt in völliger Stille, hatte sich also einmal mehr den höchsten Respekt seiner Zuhörer erlesen. Als er an unseren Tisch trat, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd und bestellte gleich eine Flasche ukumbrischen Schnaps namens Bomboroki. Offenbar hatte der kleine dicke Mann das Piratenblut seiner Vorfahren in den Adern.
    »Hat's dir gefallen, Max?«, fragte er überraschend schüchtern.
    Staunend stellte ich fest, dass er sich nicht aus Höflichkeit an
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