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Das dunkle Lied des Todes

Das dunkle Lied des Todes

Titel: Das dunkle Lied des Todes
Autoren: Bjarne Reuter
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vernünftig, etliche waren klüger als sie, und zwei beschäftigten sich mit denselben Fragen. Warum also nicht die Karten auf den Tisch legen?
    Sie erhob sich mühsam, drehte den Hahn auf und trank ein Glas Wasser, während sie den aschgrauen Himmel anstarrte. Dachte an das Motto, das wie ein Graffito in ihre Hirnschale eingeritzt war: »Den Himmel, nicht das Gemüt wechseln die, die über das Meer fahren.«
    »Du siehst so verängstigt aus«, Bromsen stand in der Türöffnung. »Ist etwas passiert?«
    »Das ist nur wegen der Mühlen«, flüsterte Eva.
    »Was ist denn mit den Mühlen?«
    »Die drehen sich. Zum ersten Mal seit ich weiß nicht wann. Kannst du das nicht hören? Das musst du doch hören.«
    Eva senkte den Kopf.
    Bromsen packte ihren Arm.
    »Eva?«
    »Du hättest das sehen sollen, Bromsen, wie sie sich gedreht haben. Nicht schnell und nicht langsam, sondern wie Propeller, die sich aufwärmen. Der Orkan muss sie in Gang gebracht haben. Irgendetwas muss sie doch in Gang gebracht haben.«
    »Sieh mich an, Eva.«
    »Ich sehe dich an, Bromsen.«
    »Du bist   … nicht   … du selbst.«
    Eva riss sich los.
    »Kannst du das wirklich nicht hören?«, flüsterte sie. »Das Geräusch eines Segels. Alles zittert. Wie der Spiegel in meinem Zimmer. Der Spiegel an der Innenseite der Tür. Sie steht dort drinnen, die alte Dame. Es ist so weit, Bromsen. Jetzt ist es so weit. Ich spüre es. Es ist so weit!«
     
    In diesem Moment erloschen alle Lichter.

 
    Die Schiffsuhr hat soeben acht Glasen geschlagen.
    Wir segeln mit dem Wind auf den südlichen Wendekreis zu.
    Kapitän Barret hat vorgestern berichtet, dass er zuvor,
nicht viele Seemeilen vor der afrikanischen Südspitze, Treibeis beobachtet hatte. Eine seltsame Vorstellung.
    Mein Bruder ist nervös, und das ist auch Pastor Schiøler.
Beide meinen, dass wir uns zu weit nach Westen halten. Noch
heute Vormittag habe ich zufällig eine Diskussion zwischen
Flint und dem Bootsmann gehört. Wörtlich sagte der Bootsmann: »Wir wollen doch verdammt noch mal nicht nach São
Paulo in Brasilien!«
    Erst einige Stunden darauf stellte es sich heraus, dass Barret seinen Navigationsgeräten nicht vertraute, die sich   – wie er sich ausdrückte   – ein wenig wankelmütig verhielten. Er beruhigte uns damit, das sei nicht ungewöhnlich in diesen Breiten, wo kalte und warme Strömungen aufeinanderprallten, was seltsame Folgen haben könnte.
    Ansonsten versuchen die Schwestern Friis-Hansen und die
überspannte Gudrun Schiøler uns mit allerlei Liedern zu
unterhalten. Die schöne Lærke tanzt die Tarantella, während
ihre Schwester das Tamburin schlägt. Das gefällt der Mannschaft.
    Ich habe allerdings beschlossen, ein waches Auge auf
Kapitän Barret zu halten, der sich nur selten Schlaf gönnt.
Die Temperatur ist spürbar gefallen. Verschwunden sind die
munteren Tage, als wir bei 25   Grad mit Madagaskar backbords segelten. Es wird immer kälter, aber Barret verspricht,
dass sich das bald ändern wird.
     
    Es ist jetzt 21   Uhr Zwei Glasen. Alles ist still. Barret und
Flint kämpfen mit der Navigation. Dem Kurs zufolge sind die
Sterne eher im Westen denn im Norden.
    Als die Uhr vier Glasen schlägt, sitze ich mit dem abergläubischen Bootsmann im Laderaum. Wir teilen einen Becher
Rum und die Reste vom Gebäck, das der Koch hergestellt hat.
Der Bootsmann behauptet, Barret habe die Kontrolle über
das Schiff verloren. Fügt aber hinzu, dass das jedem Kapitän
passiert wäre.
    Jetzt segeln wir vor dem verhexten Da-Cunha-Wind,
brummt der Bootsmann. Aber Flint beruhigt uns. Vom Kap
Hoorn, erzählt er, kommt immer eine kalte Strömung, die noch dazu einen Namen hat, nämlich Benguela-Strömung. Ich
halte den Steuermann für äußerst glaubwürdig.
    Der kleinen Amalie geht es jetzt besser. Ihr schwarzes
Dienstmädchen kümmert sich rührend um sie. Die Diskussion
über den Kurs des Schiffes hat den üblichen Scharmützeln
einen Dämpfer aufgelegt. Die schwarze Miss Limbo wird jetzt
in Ruhe gelassen.
     
    Es ist nach drei Uhr nachts, als wir in eine massive Wolkenwand hineinsegeln. Eine feuchte Witterung mit geringer Sehweite.
    Barret steht selbst am Ruder. Familie Schiøler hat sich in
ihre Kajüte zurückgezogen, aber ich glaube nicht, dass sie schlafen. Das ganze Schiff zittert vor Angst und Unruhe. Der Koch führt sich auf, als habe sein letztes Stündlein geschlagen. Die Witze des Seemanns scheinen kein Ende zu nehmen. Aber es stimmt, dass sogar Steuermann Flint, der in
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