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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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sicher, ob das, was er tat, richtig oder falsch war. Was diese Begriffe überhaupt noch bedeuteten. Er gestand sich ein, dass er in einer Krise steckte.
    „Hör auf’, sagte Tal von der Tür her.
    Rafiq fuhr herum.
    „Du bringst ihn um.“ Tal hielt eine brennende Zigarette zwischen den Fingern. Er war so leise eingetreten, dass Rafiq ihn nicht gehört hatte. „Und dann“, fuhr Tal fort, „bringt Lev dich um, und mich gleich mit.“
    Rafiq fuhr sich über das Gesicht, eine fahrige Geste.
    „Vielleicht“, sagte Tal, „weiß er wirklich nicht, wo sie steckt.“
    Rafiq warf einen unschlüssigen Blick zurück zu Fedorow, der an der Wand lehnte, den Oberkörper leicht vorgebeugt, Kabelbinder um die Handgelenke. Nikolaj hob den Kopf. Sein Atem ging schwer, Blut lief ihm über das Gesicht.
    „Aber dann hätte sie angerufen“, beharrte Rafiq.
    Er streckte den Arm aus, seine Hand schloss sich um Fedorows Kehle. Nikolaj keuchte, als sein Hinterkopf gegen die Wand krachte. Sein Blick verlor den Fokus.
    „Warum ruft sie nicht an?“, fauchte Rafiq.
    Nikolaj antwortete nicht. Rafiq ballte die andere Hand zur Faust und vergrub sie in Fedorows Magen. Dann trat er zurück und sah zu, wie Nikolaj zusammensackte. Nach einem Moment wandte er sich ab. Das hier war sinnlos. Er hatte den Eindruck, dass Fedorow ihm keinerlei bewussten Widerstand entgegensetzte, andererseits aber dennoch eine undurchdringliche Mauer um sich errichtet hatte, die sie einfach nicht zerschlagen konnten.
    Er betrachtete das Blut auf seinen Fingerknöcheln.
    „Scheiße“, sagte er, an niemanden im Besonderen gerichtet.
    Katzenbaum empfand ungeheure Frustration, als er zwei Stunden später durch eine Glastür an der Rückseite des Botschaftsgebäudes ins Freie trat. Informationen über diese Operation waren als streng vertraulich eingestuft, und er hatte nicht die erforderliche Sicherheitsstufe, so einfach war das also. David Grolanik offenbar auch nicht. Aber der Leiter der Berliner Station hatte Angst, die Dinge zu hinterfragen, weil er seinen eigenen Kopf in der Schusslinie sah. Deshalb mimte er den Bürokraten und verwies auf Anweisungen von oben.
    Der Offizier, der das Kidon-Team geleitet hatte, hieß Nirim Peretz. Aber der Mann war tot. Er würde keine Fragen mehr beantworten können.
    Kurz spielte Katzenbaum mit dem Gedanken, Cohen direkt anzurufen und den Direktor zu fragen, was zum Teufel hier eigentlich vorging. Aber dann verwarf er die Vorstellung. Wenn Cohen sein eigenes Spiel spielte – und mittlerweile war Katzenbaum davon überzeugt – dann würde eine direkte Konfrontation ihn nicht weiterbringen. Stattdessen musste er behutsam vorgehen und die wenigen Trümpfe schützen, die er auf der Hand hatte. Genau genommen war es nur ein einziger Trumpf.
    Noch glaubten alle, dass Fedorow im allgemeinen Durcheinander entkommen war.
    Das Wasser war so heiß, dass ihre Haut brannte. Trotzdem stand sie regungslos, die Arme gegen die Wand gestützt, den Kopf vornüber gebeugt, während die Strahlen auf ihre Schulterblätter prasselten.
    Dampf beschlug die Glaswände der Duschkabine. Carmen regte sich nicht unter der gewalttätigen Massage. Sie harrte aus, als könnte das Wasser alle Erinnerungen und alle Zweifel aus ihrem Bewusstsein waschen. Sie stellte sich vor, wieder ein Kind zu sein.
    Erst als ihr schwindlig wurde, regelte sie die Temperatur einen Strich nach unten. Dann drehte sie sich um und ließ sich auf den Boden sinken. So blieb sie sitzen, den Rücken gegen die Kacheln gelehnt, die Augen geschlossen, während sich Wassertropfen in ihren Wimpern fingen und Schaum um ihre Beine floss. Unmerklich fing sie an zu zittern. Dann stieg noch mehr von der Dunkelheit an die Oberfläche, und sie begann zu schluchzen. Sie versuchte nichts zurückzuhalten. Es gab niemanden, der sie sehen und später der Schwäche beschuldigen konnte. Dies war ein anonymes Zimmer in einem anonymen Hotel. Sie brauchte nur sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen. Tränen drückten durch die geschlossenen Lider. Sie beugte sich vor, legte den Kopf auf die Knie und weinte ungehemmt.
    Lange blieb Katzenbaum auf einer Parkbank sitzen. Er beobachtete, wie die Sonne vollständig unterging, wie die Straßenlaternen nacheinander aufflackerten, wie sich die Abenddämmerung in Dunkelheit verwandelte. Es wurde empfindlich kühl. Er zog seine Jacke enger um die Schultern. Regungslos beobachtete er die Anwohner, die ihre Hunde im Park spazieren führten.
    Als er sich endlich
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