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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Lesley Turney
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immer vermutet hatte. Das Licht in meinem Kopf schwand, und ich hörte Ellen wispern: Du entkommst mir nicht mehr, Hannah. Das weißt du. Niemals wirst du mir entkommen!
    Ich riss die Augen auf und wurde mir mit einem Seufzer bewusst, dass ich mich in meinem Schlafzimmer befand. Dort drüben stand die Kommode mit dem antiken Schminkspiegel, über dessen Ecke die Muschelhalskette drapiert, die Jago mir geschenkt hatte. An der Wand hingen die Kunstdrucke von Gustav Klimt, dort stand ein Foto von meinen Eltern, und die Scheinwerferkegel vorbeifahrender Autos huschten wie gewohnt über die Zimmerdecke. Alles war in Ordnung, alles war normal. Alles außer mir.
    Ich presste die Handballen gegen die Augen.
    Wenn ich nur Ellen Brecht aus dem Kopf bekäme, dachte ich.
    Ich musste verhindern, dass sie mich weiterhin so quälte. So konnte ich nicht weitermachen.
    Im Zimmer war es fast dunkel. Während ich schlief, hatte sich die Abenddämmerung herabgesenkt. Lily lag noch immer neben mir, aber Rina war gegangen. Und während der Tag erstarb, krochen die Geister meiner Vergangenheit zum offenen Fenster herein.
    Das Telefon läutete. War ich davon wach geworden? Ich ließ es sieben Mal klingeln, bis es endlich wieder aufhörte. Ich legte mich auf die Seite, rollte mich wie ein Embryo zusammen und zog die Bettdecke bis zum Kinn. Der Schlaf hatte mich nicht erfrischt, im Gegenteil, ich fühlte mich erschöpft, emotional aufgewühlt. Wieder klingelte das Telefon. Alles in mir sträubte sich aufzustehen, den Kokon meines Bettes zu verlassen, aber andererseits sehnte ich mich nach Gesellschaft, und wenn es nur eine Stimme am anderen Ende der Leitung war, alles war besser als das Nichts. Also kroch ich aus dem Bett, machte das Licht an und begab mich in die Küche, wo das Telefon lag. Auf dem Display konnte ich sehen, wer der Anrufer war: John Lansdown, mein Kollege aus dem Museum.
    Nachdem ich mich gemeldet hatte, klemmte ich den Hörer zwischen Schulter und Wange, füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein. John entschuldigte sich für die Störung. »Rina hat gesagt, dass du heute Nachmittag einen ziemlichen Schock erlitten hast«, sagte er. »Ich wollte mich erkundigen, ob es dir wieder besser geht.«
    »Was hat sie dir erzählt, John?«
    Er zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Sie hat gesagt, du meintest, einen Geist gesehen zu haben.«
    »Ich hatte Migräne«, erklärte ich, »und konnte vor Schmerzen offensichtlich nicht mehr klar sehen.«
    »So etwas dachte ich mir schon. Wie geht es dir jetzt?«
    »Viel besser, John. Es ist sehr nett von dir, aber du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Morgen komme ich wieder zur Arbeit.«
    »Das ist gut, Hannah. Aber ich rufe aus einem anderen Grund an, ich wollte dich um einen Gefallen bitten.«
    »Was denn?«
    »Charlotte ist nicht da, und die Mädchen übernachten bei einer Freundin. Und da der Kühlschrank leer ist, möchte ich essen gehen. Hättest du vielleicht Lust mitzukommen?«
    Ich zögerte.
    »Es wäre eine gute Gelegenheit, um über die Pläne für den Museumsanbau zu sprechen«, fuhr John fort. Außerdem dachte ich, dass dir nach dem Schrecken von heute Nachmittag wohl nicht danach ist, dir etwas zu kochen.«
    Ich zögerte noch immer. Wahrscheinlich hatte Rina diese Einladung arrangiert; bestimmt wollte sie sicherstellen, dass ich den Abend nicht allein verbrachte.
    »Du weißt ja, wie schlecht ein niedriger Blutzuckerspiegel bei Migräne ist«, sagte John. »Aber wenn du etwas anderes vorhast …«
    »Nein«, sagte ich schnell. »Nein, ich würde sehr gern mit dir essen gehen.«
    »Wunderbar. Das freut mich. Dann hole ich dich in etwa einer Stunde ab.«
    In der Zwischenzeit bemühte ich mich, meine Fassung zurückzuerlangen. Ich duschte, fönte das Haar und zog mich an. Dann legte ich ein Nocturne von Chopin auf und durchquerte barfuß die Wohnung, während mir die Katze – sie schien eine besondere Vorliebe für dieses Stück zu haben – um die Beine strich. Nachdem ich die Vorhänge zugezogen und sämtliche Lichter angeschaltet hatte, fühlte ich mich sicher. Als die Türklingel ertönte, schlüpfte ich in die Schuhe und nahm eine Jacke von der Garderobe. John wartete auf dem Gehsteig vor dem Hauseingang auf mich.
    Wir kannten uns, seit ich vor acht Jahren meine Stelle im Museum angetreten hatte. Ich mochte seine ruhige Art und bewunderte seine methodische Arbeitsweise. Charlotte, seine Frau, die an der Englischen Fakultät der Universität tätig war, war
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