Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Lesley Turney
Vom Netzwerk:
hinten gebogen wurde, bis sie mit dem Kopf fast den Boden berührte. Spätestens in diesem Moment musste sie lachen: Es war unmöglich, eingeschnappt zu sein, wenn sich Mr   Brecht in den Kopf gesetzt hatte, einen glücklich zu machen. »Talkin’ ’bout my-y girl!«, sang er und tanzte um den Teich herum, während er Ellen in den Armen herumschwang, bis ihr schwindlig und ihr Gesicht ganz rot vor Freude war.
    Mr   Brecht hatte Adam Tremlett, einen Mann aus dem Dorf, angestellt, der sich um den Garten kümmerte, und er und Mrs   Brecht sahen Mr   Brecht lachend zu.
    »Es ist so schön, wieder hier zu sein«, sagte Mrs   Brecht.
    Stundenlang zerbrach ich mir den Kopf, was ich bloß tun könnte, um Mr   Brecht dazu zu bringen, mit mir ebenso ausgelassen zu tanzen wie mit Ellen. Dass er mich genauso anschaute wie sie.
    Als Ellen und ich ein paar Wochen, nachdem wir uns kennengelernt hatten, in Ellens Zimmer spielten, schickte sie mich nach unten in die Küche, um Saft zu holen. Im Flur hörte ich Mrs   Brecht und Mrs   Todd mit verdächtig leisen Stimmen reden. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür, legte das Ohr an den offenen Spalt und lauschte.
    »Hannah ist so ein nettes, unkompliziertes Kind«, sagte Mrs   Brecht. »Sie hat einen guten Einfluss auf Ellen.« Ein wohliges Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. »Finden Sie nicht auch, dass Ellen ruhiger geworden ist, Mrs   Todd?«
    »Ja, sie hat sich gut hier eingelebt. Und die Kleine kann ja nichts dafür, dass sie frühreif ist.«
    Mrs Brecht lachte. »Sie verteidigen sie immer, Mrs Todd, aber es ist ein schmaler Grat zwischen einem frühreifen Kind und einem kleinen Monster, dem man mit zu viel Nachsicht begegnet!«
    Ich kehrte ohne den Saft nach oben zurück, und die Worte, die Mrs   Brecht über Ellen geäußert hatte, sollte ich nicht mehr vergessen. Immer wieder drehte ich sie im Geiste hin und her und betrachtete sie von verschiedenen Seiten, um jedes Mal zum gleichen Schluss zu kommen. Ellen musste einen ziemlich boshaften Charakter haben, wenn ihre eigene Mutter so über sie urteilte.

SIEBEN

    J ohn fuhr mit mir zu einem kleinen türkischen Restaurant, das ein wenig versteckt in einer Seitenstraße im Stadtteil Easton lag. Das kellerartige Gewölbe wurde von roten und goldenen Lichtern erhellt und war orientalisch dekoriert. Es herrschte reger Betrieb. Der Kellner führte uns zu einem kleinen Tisch an der Wand. Eine blutrote Kerze flackerte in einem Einweckglas. Die mit Pailletten geschmückte Tischdecke erinnerte mich an den Schal, den Ellen mir zum vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Ich trug ihn gern um die Hüften gewickelt, wenn ich zum Strand ging. Ich erinnerte mich gut daran, wie die Glassteinchen, mit denen die Nähte besetzt waren, im Sonnenlicht schimmerten. Ein Bild kam mir in den Sinn: Ellen, die braun gebrannt auf einen Ellbogen gestützt im Sand lag und mich, die Augen mit der Hand vor der Sonne abgeschirmt, lächelnd ansah und Jago, der gerade erst aus dem Wasser gekommen war, triefend nass hinter ihr stand und sich die knochigen, von Pickeln übersäten Schultern abtrocknete.
    Ich blinzelte, um das Bild zu verscheuchen, setzte mich auf die Bank und legte die Papierserviette in den Schoß. John bestellte eine Flasche Wein, die der Kellner kurz darauf brachte. Er entkorkte sie, schenkte uns ein und kam dann mit einem großen Teller Vorspeisen zurück. Ich brach ein Stück von dem warmen Pitabrot ab und tunkte es in den Hummus.
    »Und wie fühlst du dich jetzt?«, fragte John.
    »Ganz gut. Ich bin nur ein bisschen müde.«
    John sah mich prüfend an, beließ es aber dabei. Ich wusste, ich hätte mich ihm anvertrauen können, aber wie sollte ich ihm von meinem Erlebnis in der Ägyptischen Galerie berichten, ohne ihn in meine Vergangenheit einzuweihen? Es widerstrebte mir, ihm zu erzählen, dass ich während meines zwölfmonatigen Aufenthalts in Chile zunehmend unter Angstzuständen gelitten und nach meiner Rückkehr nach England einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Eine psychotische Episode, wie der Fachausdruck lautete. Zu den Symptomen zählten paranoide Reaktionen – ich hörte Stimmen in meinem Kopf und litt unter Halluzinationen. Überzeugt, dass Ellen aus dem Totenreich zurückgekehrt war, um mich zu verfolgen, begab ich mich schließlich freiwillig in eine psychiatrische Klinik, wo ich die Ärzte anflehte, mich von ihr zu befreien. Dort blieb ich mehrere Monate, bis die Behandlung, eine Kombination aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher