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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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mich stolpert. Da stellte ich mich neben Mary, und sie nahm meine Hand. Ihr Dad redete nie so mit ihr. Wenn er sie einen halben Tag lang nicht gesehen hatte, kümmerte er sich mehr um sie, wenn er heimkam, als mein Dad sich damals um mich gekümmert hatte, wie ich mein Bein gebrochen hatte und erst nach ein paar Tagen wieder aus dem Krankenhaus gekommen war.
    Mr. Wulfstan war an dem Tag nicht da. Die meisten Tage fuhr er in die Stadt zu seinem Geschäft, und das war wieder so ein Tag. Wir kamen durchs Dorf wie bei einer Prozession oder so. Dad fuhr den Trekker, die beiden Männer standen auf dem Anhänger und paßten auf, daß der Flügel nicht runterrutschte, und Arne, Inger, Tante Chloe, Mary und ich marschierten hinterher. Die Leute liefen an ihre Türen, um zu sehen, was da los war, und es wurde seit langer Zeit mal wieder gelacht. Niemand hatte Jenny und Madge vergessen, aber Trauer zahlt kein Pachtgeld, wie meine Mam sagte. Sogar die Polizisten in der Gemeindehalle guckten raus und schmunzelten.
    Reverend Disjohn wartete schon in der Kirche auf uns. Es war nicht leicht, den Flügel durch die Tür zu kriegen. St. Luke’s ist kein so tolles Gebäude, wie man es woanders sieht. Wir haben das alles in der Schule gelernt. Ein paar hundert Jahre früher hatte es in Dendale gar keine Kirche gegeben, und die Leute mußten zum Gottesdienst den langen Weg über den Berg nach Danby gehen. Am schlimmsten war es, wenn jemand starb und sie den Sarg mitnehmen mußten. Schließlich bauten sie also ihre eigene Kirche, am Shelter Crag, dem großen Felsen unten an dem Berg, wo sie die Leichen immer aus den Särgen genommen und auf Ponys festgebunden hatten, um sie nach Danby zu bringen. Und als sie die Kirche bauten, hielten sie sich an die gleiche Regel, die auch für ihre Häuser galt, nämlich: je größer die Tür, desto mehr zieht es.
    Schließlich hatten sie den Flügel drin und stellten ihn auf. Dad und die Bauernburschen fuhren mit dem Anhänger wieder weg. Inger setzte sich ans Klavier und probierte es aus. Es klang ziemlich schief von dem ganzen Auf- und Abladen und Durch-die-Tür-Zwängen, so daß sie sich dranmachte, es neu zu stimmen. Tante Chloe meinte, sie hätte ein paar Dinge im Dorf zu erledigen, und wollte uns nach Hause bringen. Aber wir fragten, ob wir noch bleiben und dann mit Arne und Inger zurückgehen könnten, und sie sagte, einverstanden, solange wir nicht aus der Kirche liefen. Arne versprach, ein Auge auf uns zu haben, und Tante Chloe ging weg. Arne spazierte durch die Kirche und guckte sich die Holzschnitzereien und alles an. Reverend Disjohn saß in einer Bank und beobachtete Inger bei ihrer Arbeit. Ich hatte schon öfter bemerkt, daß er sie immerzu ansah, wenn sie in seiner Nähe war. Aber sie war mit dem Stimmen beschäftigt und achtete nicht weiter auf ihn, schlug eine Taste an und fummelte dann im Flügel herum. Es war todlangweilig, also stahlen Mary und ich uns davon, um auf dem Friedhof zu spielen. Zwischen den Grabsteinen kann man toll Verstecken spielen. Es ist ein bißchen unheimlich, aber schön unheimlich, solange die Sonne scheint und man weiß, daß Erwachsene in der Nähe sind. Man kann immer noch den alten Leichenpfad sehen, der sich vom Shelter Crag den Berg raufwindet. Ich versteckte mich hinter einem großen Stein am Ende vom Friedhof und konnte durch das Eingangstor direkt den Pfad raufsehen und bekam mit, daß da oben eine Gestalt war. Wie ich hinterher der Polizei sagte: Ich dachte, es wäre Benny Lightfoot gewesen, aber ich war nicht absolut sicher. Dann kam Mary plötzlich um den Grabstein, packte mich und erschreckte mich halb zu Tode, und ich vergaß es wieder.
    Jetzt war sie dran mit Verstecken, und ich mußte suchen. Mary war gut im Verstecken, weil sie still wie ein Mäuschen bleiben konnte und nicht zu kichern anfing wie die meisten von uns.
    Ich ging einmal um die Kirche rum und sah sie nicht. Als ich wieder an der Tür vorbeikam, fing Arne grade zu singen an. Inger war wohl mit dem Stimmen fertig gewesen, und nun probierten sie es aus. Ich ging rein, um zuzuhören.
    Die Worte waren ausländisch, aber ich hatte Arne das Lied schon mal singen hören, und er hatte mir gesagt, was es bedeutet. Es ging um einen Mann, der mit seinem kleinen Sohn durch die Nacht reitet, und der Junge sieht eine Art Geist, den Erlkönig, der ihn immer wieder ruft. Der Vater versucht, schneller zu reiten, aber es hat keinen Sinn, der Erlkönig kriegt das Kind, und als er zu Hause ankommt,
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