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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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hatte zwar seit Wochen nicht mehr geregnet, aber Andy Dalziel weckte den Pfadfinder in ihm.
    Er öffnete die Tür und sagte: »Mein Gott!«
    Detective Superintendent Andrew Dalziel (»Dii-ell«, wie er mit Nachdruck zu korrigieren pflegte, wenn jemand seinen schottischen Namen falsch aussprach), immer für eine Überraschung gut, trug ein grellbuntes Hawaiihemd, das sogar einen Adler zum Blinzeln gebracht hätte.
    »Sie strotzen ja wie immer vor Optimismus«, meinte er mit einem Blick auf die Regenjacke. »He, was’n das? Die Melodie kenn ich.«
    Sein Musikwissen war noch frappanter als sein Hemd. Wie ein Kind im Banne des Rattenfängers, schob sich der Dicke an Pascoe vorbei und steuerte durchs Haus auf die Terrasse zu, wo das Radio lief.
    »You must not dam up that dark infernal«,
sang der kräftige junge Mezzosopran.
»But drown it deep in light eternal!«
    »Andy!« sagte Ellie und sah überrascht auf. »Ich dachte, Sie hätten es eilig. Zeit für einen Drink? Oder ein Stück Quiche?« Sie griff nach dem Radioknopf.
    »Nee, lassen Sie nur. Das ist Mahler, oder?«
    Nur mit Mühe konnte Ellie ihr Erstaunen unterdrücken.
    »Richtig«, erwiderte sie. »Sind Sie ein Fan?«
    »Das nicht grade. Aber das Lied wird normalerweise auf deutsch gesungen, oder?«
    »Stimmt. Ich höre es zum ersten Mal auf englisch.«
    »So deep in my heart a small flame died. Hail to the joyous morningtide!«
    Die Stimme verklang. Die Begleitung setzte die getragene Melodie noch eine halbe Minute fort und erstarb dann ebenfalls.
    »Elizabeth Wulfstan sang das erste von Mahlers ›Kindertotenliedern‹«, verkündete der Sprecher. »Für mich eine ganz neue Stimme, Charmian. Vielversprechend, wenn auch eine seltsame Wahl für die erste Plattenaufnahme. Noch dazu in ihrer eigenen Übersetzung, wie ich annehme.«
    »Das stimmt«, antwortete Charmian. »Und ich bin ebenfalls der Meinung, daß nicht viele Zweiundzwanzigjährige einen solch anspruchsvollen Liederzyklus in Angriff nehmen, aber es haben vielleicht auch nicht alle Zweiundzwanzigjährigen eine solch ausgereifte Stimme.«
    »Das mag wohl sein, aber ich finde trotzdem, daß es eine schlechte Wahl war. Sie bemüht sich zu sehr um Wirkung, so als würde sie der Musik und den Worten allein nicht zutrauen, das Wesentliche auszudrücken. Mehr nach der Pause, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie hören ›Coming Out‹ am Wochenende, und wir stellen Ihnen die aktuellen Neuerscheinungen vor.«
    Ellie schaltete das Radio ab.
    »Andy, alles in Ordnung?«
    Der Dicke stand da wie verhext, jetzt nicht mehr wie das Kind aus Hameln, das der Rattenfänger mit sich fortlockte, sondern wie ein schottischer Edelmann nach einem Schwatz mit den Hexen.
    »Och, mir geht’s gut. Mir läuft’s nur grade eiskalt über’n Rücken.« Er holte tief Luft. »Dieses Mädchen … hat er Wulfstan gesagt?«
    »Ja, genau. Sie wird auf dem Dales Festival singen. Für die CD habe ich eine Anzeige in meinem Musikfachblatt gesehen, mit Vorteilspreis bei Sofortbestellung, müßte eigentlich jeden Tag geliefert werden. Aber vielleicht hätte ich diese Besprechung vorher hören sollen, hm? Was meinen Sie als Experte, Andy? Und sind Sie sicher, daß Sie keinen Drink wollen?«
    Die feine Ironie riß Dalziel aus seinen Gedanken, und ihm war anzusehen, daß er jetzt erst Ellies Bikini registrierte, aus dessen Stoff man für ihn nicht einmal einen Hemdkragen hätte nähen können.
    »Also, meine Liebe, ich versteh nix von Musik. Und wir haben keine Zeit mehr für einen Drink. Tut mir leid, daß ich Peter an einem Sonntag mitschleifen muß.«
    Bei ihm klang »mitschleifen« tatsächlich wie ein körperlicher Akt.
    Ellie war verwirrt. Drei Dinge waren absolut ungewöhnlich: Dalziel erkannte Mahler; Dalziel lehnte einen Drink ab; Dalziel machte nicht sofort eine Bemerkung über ihre Titten.
    »Es scheint ja dringend zu sein«, sagte sie.
    »Ja. Wenn ein Kind verschwindet, ist es immer dringend«, entgegnete er. »Wo ist die kleine Rosie?«
    Allein die abrupte Nebeneinanderstellung dieser beiden Sätze war beunruhigend.
    Pascoe antwortete hastig: »Sie ist das Wochenende bei einer Schulfreundin. Zandra mit Zett, stellen Sie sich vor! Zandra Purlingstone.«
    Er betonte den vollen Namen scherzhaft in gewohnter Verhörmanier, mit fragendem Unterton, auf den Dalziel sofort ansprang.
    »Purlingstone? Etwa die Tochter von Trockendock-Purlingstone?«
    Derek Purlingstone, Generaldirektor der Mid-Yorkshire Wassergesellschaft, die
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