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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence
Autoren: Gisbert Haefs
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nickte. »Eine weise Frage. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er über Drogenhändler gestolpert oder über eine orientalische Meuchelmörderschaft in der Provence. Wer weiß?«
    »Und du willst mir nichts über Sankt Remigius und diesen Schlupfhafen der Johannisbeere erzählen?«
    Nun war Matzbach mit Seufzen an der Reihe. »Ungeduldiges Weib. Ich denke mir folgendes. Als er mich aus Les Baux angerufen hat, meinte er, jemand sei hinter ihm her und er könne nicht frei sprechen. Also konnte er wohl auch keine Namen nennen. Ich habe durch kurzes Nachdenken ermittelt, daß nahe Les Baux der Ort Saint-Rémy liegt; vermutlich meint er den mit Remigius. Und da gibt es sicher irgendwas Mondartiges, ein Bauwerk oder so, wo er was für mich hinterlegt hat. Und Crème de Cassis, was, wie du wissen solltest, Hauptbestandteil des Leibtrunks des alten Bürgermeisters von Dijon ist, ist ein Johannisbeerlikör.«
    »Wieso sollte ich das wissen?«
    »Der Kanonikus Kir, nach dem das Getränk benannt ist, hat es wohl auch erfunden. Der war Dings in Dijon. Also, denke ich mir, hat Bronner wohl die Stadt Cassis am Mittelmeer im Kopf gehabt. In der Nähe gibt es
calanques
, so eine Art lokaler Fjorde, und
calanque
ist der Schlupfhafen. Was das Ganze soll, weiß ich nicht, aber es bringt mich auf eine Idee. Ich hätte jetzt gern bald einen Kir. Wir sollten, meine ich, ein kleines Hotel bei Nuits-Saint-Georges ansteuern. Ich kenne das, man äst dort vorzüglich. Und was hülfe es dem Menschen, der da in der Provence entweder lebt und bibbert oder tot ist und dies nicht mehr tut, wenn wir dort entkräftet und übermüdet ankämen, unfähig zu den elementaren Hilfeleistungen?«
    Er erging sich in genauen Fahrtanweisungen und kam dann auf die Speisekarte zu sprechen, wobei er insbesondere die hausgemachten Pasteten aus jenem Stoff erwähnte, der vordem als Krammetsvöglein Europa durchflattert hatte. »Damit man sieht, daß wirklich nichts in den Töpfchen ist, was nicht hineingehört, sind die Pastetchen obenauf mit den Füßchen der köstlichen Verblichenen garniert.«
    Ariane schüttelte sich, lauschte dann aber mit knurrendem Magen den weiteren Ausführungen von Baltasar, der liebevoll auf den in einer Sauce aus Sahne und Estragon mit einem winzigen Tupfer Senfs hingerichteten Hecht verwies. »Dazu«, sagte er, und er schnalzte mit der Zunge, »ein Schlückchen Aligoté, und danach
un rôti de bœuf
zur Unterstützung der einen oder anderen Flasche Gevrey-Chambertin. Oder derlei. Übrigens macht man dort auch köstliche Apfelküchlein zurecht, die sich vorzüglich als Dessert eignen ...«
    Gegen 19.30 Uhr erreichten sie ihr Etappenziel. Während Matzbach rittlings auf seinem Koffer saß und grübelte, was ihm an der Tapete der Kemenate mißfiel, inspizierte Ariane den sanitären Trakt der Fürstensuite. Von der Erkundung zurückgekehrt, begann sie, ihren Koffer auszupacken. Baltasar hüpfte derweil unter den Strahlen der Dusche umher und sang Landsknechtslieder; danach begab er sich mit einer meditativen Zigarre in die Horizontale und dachte an nichts bzw. Nichts. Als Ariane tropfnaß und gutgelaunt aus dem Bad kam, winkte er sie mit der Zigarre herbei. Sie setzte sich auf den Bettrand, wobei sie sich abtrocknete.
    »Was wollt Ihr, Gebieter?« sagte sie.
    Baltasar legte ihr eine Fingerspitze auf die Stupsnase, die Arianes Gesicht vor der Etikettierung »aristokratisch« bewahrte, und sondierte die grünen Augen. »Die Frage erhebt sich«, sagte er, »ob wir hinterher viel oder vorher wenig essen. Die Beweglichkeit des Leibes, du weißt es, wird durch die Nahrungsaufnahme langfristig gefördert und kurzfristig behindert.«
    Ariane kicherte und warf das Handtuch. »Wie war das noch gleich«, sagte sie. »Mit diesem
I Ging
, meine ich.«
    Baltasar deutete auf einen wirren Stapel Kleidung, Bücher und sonstiger Reiseutensilien. »Ich weiß nicht, was du meinst, aber sieh immerhin nach.«
    Sie fahndete nach dem Buch und entdeckte es unter der zerknautschten Leinenhose. Nach längerem Blättern fand sie, was sie suchte.
    »Schong«, sagte sie lächelnd, »Kommentar zur Entscheidung. ›Das Weiche dringt mit der Zeit empor. Sanft und hingebend.‹ Aha, oho. ›Das Feste ist in der Mitte und findet Entsprechung, darum erlangt es großes Gelingen.‹ Ist es denn wahr? ›Man muß den großen Mann sehen.‹ Die Anweisungen sind eindeutig.«
    Sie klappte das Buch zu, legte es auf den Nachttisch und beraubte Baltasar seiner Zigarre, die sie einen
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