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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence
Autoren: Gisbert Haefs
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Tankzettel, Quittungen über Autobahngebühren und Restaurantbelege ausspie, als Matzbach sie über dem Bett leerte.
    Ariane warf ihm fragende Blicke zu, während sie ihre Kleidungsstücke in einem vermutlich antiken Schrank verstaute. Dann stellte sie sich, mit der Kaffeetasse in der Hand, hinter Baltasars gebeugten Rücken und versuchte herauszufinden, welche Sorte Zettel er da sortierte. Da sie aus seiner gefurchten Nackenmuskulatur las, daß er momentan nicht ansprechbar war, stellte sie bald die Tasse wieder ab und öffnete die Tür zur kleinen Terrasse. Baltasar fluchte, als der Abendwind ihm die Zettel durcheinanderbrachte; Ariane zog die Tür schnell hinter sich zu und trat an die Brüstung.
    Unter ihr lag, in der fortschreitenden Dämmerung nicht mehr genau auszumachen, das Tal mit einigen neueren Gebäuden und zahllosen alten Felsen. Nebelschwaden, die sich immer mehr verdichteten, raubten ihr nach kurzer Zeit den Blick vollends. Obwohl sie in der feuchten Kälte des Abends zu frösteln begann, konnte sie sich doch nicht von dem grandiosen Schauspiel losreißen. Aus der weitläufigen, ovalen Terrine des Tals stieg Dampf empor, leckte sich die senkrechten Felswände zum Hotel herauf und überspülte bald die Terrasse. Der Zackenrand jenseits des Tales wies den halbhellen Himmel ab. Schließlich sah Ariane kaum noch die eigenen Hände; bibbernd und klamm vor Kälte kam sie zurück ins Zimmer.
    Baltasar hatte seine Sortiererei beendet und blickte ihr nachdenklich entgegen. »Toll«, sagte sie halblaut.
    »Ich stimme dir zu«, sagte er zerstreut. »Obwohl ich annehme, du meinst den Nebel. Ich dagegen meine die Papiere.«
    Sie hockte sich neben ihn auf das Bett, leerte ihre Kaffeetasse, stellte sie auf den Boden und blickte auf das Häuflein Belege und Schmierzettel. »Irgendwas gefunden?«
    Baltasar lehnte sich gegen die Kopfkissenwurst. »Na ja. Wie man's nimmt. Ich weiß ungefähr, wo er sich in der letzten Zeit aufgehalten hat.«
    »Und? Kannst du daraus was machen?«
    »Harr, hum, brrr. Ein wenig.«
    Er fischte ein größeres, rautiertes Stück Papier aus dem Stapel und wedelte damit.
    »Ich glaube, seine Anreise braucht uns nicht weiter zu interessieren. Hotelrechnungen aus Mulhouse, Bourg-en-Bresse und so. Interessant wird es ab dem fünfzehnten Oktober. Zuerst war er zwei Tage hier, danach eine kurze Zeit in Draguignan in einem dortigen Hotel beziehungsweise außerhalb des Orts. Dann war er acht Tage in Cassis, merke auf, und hat dort unter anderem, wie Quittungen beweisen, hervorragend gefressen und zwei Fahrten mit einem Küstenboot gemacht. Zwischendurch war er in Marseille und hat dort mit einer kleinen Maschine einen Rundflug über Provence und Camargue absolviert.«
    »Fliegt er selbst?«
    »Glaub ich nicht; weiß ich aber nicht genau. Er hat mir zwar nie über das Fliegen oder die Angst davor berichtet, aber wer kennt schon die Abgründe des menschlichen Herzens?«
    Ariane nickte ernsthaft. »Schön dahergesagt, Dicker. Und? Was liest du aus all dem?«
    Baltasar kratzte sich den Kopf. »Waschen«, schlug Ariane vor. Er ignorierte den Einwurf.
    »Was ich lese, ist, daß er hier, da und dort gewesen ist. Das werden wir in den nächsten Tagen zu klären haben. Viel interessanter ist vorläufig dieser lateinische Wisch.«
    Er wedelte mit einem weiteren Blatt. Ariane streckte die Hand aus, nahm das Blatt und warf einige Blicke darauf. Es handelte sich um die Fotokopie eines Typoskripts, versehen mit zahlreichen Auslassungspunkten und Fragezeichen im Text sowie weiteren Fragezeichen und zum Teil unlesbaren Kommentaren in einer kryptischen Handschrift.
    Ariane gab ihm das Blatt zurück. »Mein Schullatein ist verrostet. Ich verstehe nicht viel mehr als ein paar geläufige Wörter.«
    Baltasar legte das Blatt weg. »Meiner ersten Kurzlektüre nach ist das ein merkwürdigerweise auf Latein abgefaßtes antirömisches Pamphlet eines karthagischen Händlers, der kurz über sein Leben, seine Irrfahrten und seine Reichtümer berichtet, die er irgendwo vergraben hat. Vermutlich hier in der Nähe.«
    Ariane lächelte. »Rücksichtsvoll von diesem Karthager, daß er die Sache in einer dir verständlichen Sprache aufgezeichnet hat.«
    Baltasar nickte. »Sehr. Aber das ist nicht alles. Er hat, wie er ausführt, seine Reichtümer an vier verschiedenen Orten zu ungefähr gleichen Teilen verbuddelt, dazu an weiteren drei Orten lateinische, griechische und phönizische Varianten seines Testaments hinterlassen. Besonders
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