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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence
Autoren: Gisbert Haefs
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Anfälle hast.« Sie schaltete das Licht ein.
    Baltasar inhalierte tief, hustete und stieß eine gewaltige Wolke aus. Ariane kurbelte das Fenster herunter.
    »Nie und immer, Teuerste«, sagte Matzbach erhellend. »Wie ich sagte – oder war es Shakespeare? –, gibt es mehr Dinge zwischen Bonn und Les Baux, als Eure Rationalität sich träumen läßt, Horatia. Dabei fällt mir auf, daß der Alte da ja ein Wortspiel im Namen eingebaut hat. Horatio, ratio, hm, muß ich bedenken.«
    »Du könntest ja mal wieder ein Buch über eines deiner abseitigen Themen schreiben.«
    »Wohl wahr. Wird Zeit. – Also, um das klarzustellen, und damit du mich nicht für einen verkappten Gläubigen hältst: Wie du wissen solltest, leide ich weder an irgendeiner Überzeugung noch an der Sehnsucht nach einer solchen. Ich bin aber immer bereit, mich überraschen zu lassen. Im Gegensatz zu den meisten unserer Mitmenschen suche ich nicht die Wahrheit. Ich suche erstaunliche Geschichten. Und wenn mir jemand einen Schamanen in Trance zeigt, der sich in die Luft erhebt, heißt das für mich nicht, daß Schamanen fliegen können, sondern daß ich einen Schamanen gesehen habe, der geflogen ist.«
    Ariane schnalzte. »Ich sehe nicht, was daran so anders sein soll.«
    »Oh, es macht schon was aus, ob man wunderliche Dinge mit Genuß zur Kenntnis nimmt oder gleich eine Ideologie daraus macht. Ich kann mir vorstellen, daß ein Schwarm von Lämmergeiern, die nach der Opferung eines Gefangenen dem Priester von links entgegenkommen oder von rechts, daß diese Geierlämmlein etwas Gutes oder Böses verheißen, das sich dann auch ereignet. Ich glaube nur nicht, daß die Geier das wissen, und auch nicht, daß sie von Göttern geschickt worden sind. Ich finde es nur möglich und lustig.«
    »Und dein Orakelbuch?«
    »Das ist so ähnlich. Das
I Ging
sagt ja nicht: Egal, was du tust, morgen wird das und das passieren, sondern, so ist die Auslegung, es sagt dir, wenn du eine bestimmte Frage im Kopf hast, welchen Weg du am besten einschlagen sollst. Das einzig Magische dabei ist das Münzwerfen oder das Schafgarbenhäufeln. Der Rest ist Philosophie.«
    Ariane wiegte den Kopf. »Du bist mir ein komischer Agnostiker. Entweder du glaubst dran oder du glaubst nicht dran. Ich finde, du solltest dich da entscheiden.«
    Matzbach kicherte. »Immer will jemand, daß ich mich entscheide. Ich bin als guter Skeptiker nicht fähig, Wunderliches für unmöglich zu halten.«
    Aufgebracht hupte Ariane die Dämmerung an. »Entsetzlich, du mit deinen Paradoxa. Wie hältst du es denn mit dem lieben Gott?«
    Baltasar grinste. »Ich glaube, du bist wirklich urlaubsreif, sonst würdest du dich nicht so aufregen. Was Zeus, Jehova und Quetzalcoatl angeht – ob ich an ihre Existenz oder an ihre Nichtexistenz glaube, beides sind gewaltige Glaubensakte, die meine Kräfte übersteigen. Ich glaube eben einfach nicht, meine Liebe; ich lasse mich überraschen.«
    »Und dein Orakelbuch?«
    Er seufzte. »Du frißt dich daran fest, wie? Das ist doch ganz einfach. Die alten Chinesen, wer immer es auch war, haben die Möglichkeiten des menschlichen Handelns und Versagens ganz grob in vierundsechzig Aspekte aufgespalten, mit Varianten und Zufallsspielen und Fremdeinflüssen und allem. Außerdem stehen viele schöne und treffende Sätze in dem Buch, die hilfreich und weise sind, egal, ob man Orakelfragen stellt oder nur denken will. Hinzu kommt eine simple Rechnung. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Buch recht hat, an dem Generationen kluger Männer gearbeitet haben, ist unendlich viel größer als die, daß ausgerechnet ich unter vier Milliarden recht habe.«
    Ariane holte tief Luft. »Aber du hast doch eben so getan, als ob du das Dings da, diesen Schong-Spruch, ernst nimmst.«
    Baltasar nickte und lächelte sie von der Seite an. »Habe ich. Das liegt einfach daran, daß das Buch bisher immer die Wahrheit gesagt hat, wenn ich es interviewt habe.«
    »Also glaubst du doch dran?«
    »Nein, ich bin nur überrascht. Angenehm überrascht.«
    »Du bist unmöglich. Ich geb's auf.«
    Sie schwiegen. Ariane fuhr konzentriert. Der Dicke mit dem schwarzen Kraushaar neben ihr rekelte sich, fläzte sich in seinem Sitz und grunzte leise. Die Spitze seiner abnehmenden Zigarre glomm heller als die Armaturenbeleuchtung. Seit mehr als einem Jahr waren sie einander, wie Baltasar es ausdrückte, »in wonniglicher Gefährtenschaft zugetan«. Sie waren beide Jahrgang '39; Baltasar, der sechs Fuß und einige Zoll maß,
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