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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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sind die Betonungsverhältnisse in den Sätzen (p. 42f):

    (4) Hier in der Gegend ist gestern eine álte Fráu von einem júngen Mánn überfallen worden.
    (5) Er ist gestern zu Háuse geblieben, weil er kránk war.
    (6) Er hat in den letzten Ferien eine Seminárarbeit geschrieben, die über dréihundert Séiten lang war.

    Diese Sätze kommentiert Harweg wie folgt (43 f.):

    Einen solchen Kontrast suggerierende Sätze aber sind die Sätze (4)—(6), Sätze, von denen die beiden ersteren, da ihre Verbindungen aus Kern und Zweitsatellit eigentlich keine außergewöhnlichen Sachverhalte bezeichnen, einen solchen Kontrast allerdings zu Unrecht suggerieren. Diese beiden Sätze sind denn auch strenggenommen ungrammatisch und müßten durch andere Beispiele — etwa die Sätze Hier in der Gegend ist gestern ein júnger Mann von einer álten Fráu überfallen worden bzw. (Du,) der Karl (der) hat seine Fráu erschlagen, weil sie nicht rechtzeitig das Éssen auf dem Tisch hatte — ersetzt werden. Satz (6) demgegenüber enthält tatsächlich eine außergewöhnliche Kern-Zweitsatellit-Kombination und suggeriert seinen Kontrast somit zu Recht. Ihn wollen wir deshalb etwas genauer analysieren.

    Wir aber wollen jetzt mal was anderes genauer analysieren. Frau erfährt hier also:
    a) Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn eine alte Frau von einem jungen Mann überfallen wird.
    b) Wenn eine alte Frau von einem jungen Mann überfallen wird, so ist das ebenso »gewöhnlich«, wie wenn »er« zu Hause bleibt, weil »er« krank ist.
    c) Wenn »er« eine Seminararbeit von 300 Seiten schreibt, so ist das ungewöhnlicher, als wenn ein junger Mann eine alte Frau überfällt.
    d) Ungewöhnlich ist nur, wenn eine alte Frau einen jungen Mann überfällt. Und wenn Karl seine Frau erschlägt, so ist das erst dann ungewöhnlich, wenn er es aus dem genannten Grund tut: weil sie das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch hatte.
    Das Grauenhafte an diesen Ausführungen ist, daß Harweg, statistisch gesehen, vollkommen recht hat. Aber Überfälle junger Männer auf alte Frauen und Morde von Ehemännern an ihren Ehefrauen sind nicht in erster Linie statistisch, sondern ethisch und juristisch relevante Vorfälle und als solche keineswegs »gewöhnlich«, genausowenig wie sie es für die Opfer sind. Die linguistische Phantasie, die gerade solche Beispiele produziert (es gibt genügend andere »gewöhnliche« und »ungewöhnliche« Sachverhalte), ist ethisch defekt und frauenfeindlich. Der »wertfreie Kommentar« dieser Beispiele ist reiner Zynismus.

19 Baudouin de Courtenay im Jahre 1923 (abgedruckt 1929): Diese in der spräche zum Vorschein kommende Weltanschauung, nach welcher das männliche als etwas ursprüngliches und das weibliche als etwas abgeleitetes aufgefaßt wird, verstösst gegen die logik und gegen das gerechtigkeitsgefühl. Und trotzdem ist sie so tief in die psychik von Europäern und Semiten eingewurzelt, dass sie sogar in die künstlichen hilfssprachen übergegangen ist. So finden wir z. b. in Esperanto bovo nicht nur als >rindvieh< im allgemeinen, sondern auch als >stier< (? >ochs<) und bovino als >kuh<, pvater< und patrino als >mutter< (1929: 231 !. ).

    Die Arbeit Baudouin de Courtenays ist seh r lesenswert, nicht nur wegen seiner entschieden feministisch-linguistischen Position (und das 1923!), sondern auch wegen seines Einfallsreichtums, seiner scharfen Ironie und seines unorthodoxen, radikal persönlich gefärbten Stils. Fast möchte ich dieser Sprache das Ehrenprädikat »Frauensprache« zuerkennen (in dem Sinne, wie etwa die Kalverkämpersprache eine Extremform der Männersprache darstellt, vgl. die Anm. auf S. 42). — Den Hinweis auf diese Oase in der Wüste verdanke ich Petra Gail. Nachtrag im Dezember 1983: Von Helmut Walther (Gesellschaft für deutsche Sprache) bekam ich eine Kopie des Kapitels 7 »Vorwalten des männlichen Geistes in der Sprache« aus Götze 1918. Götze schreibt (S. 47 f.):
    Ein Mädchen kann ein Luftikus genannt werden oder ein Springinsfeld, Guckindiewelt, Tunichtgut: niemand gibt sich die Mühe, eigene Worte für das weibliche Geschlecht zu bilden oder ihnen auch nur die Endung -in anzuhängen. Schon diese Bildung mit -in ist im Grund ein Unrecht gegen die Frau , so hat es schon Jacob Grimm empfunden, als er aussprach, das Maskulin stelle sich als das lebendigste, kräftigste und ursprünglichste unter allen Geschlechtern dar. Regelmäßig bildet, wo gewechselt wird, das männliche
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