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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben
Autoren: Alexander Heamon
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kleine Schwester gestorben sei, war ein Moment von Klarheit und Verstehen auf ihrem Gesicht. Dann weinte sie in einer Weise, die man nur als unkindlich bezeichnen kann, und sagte: » Ich möchte noch ein Schwesterchen haben, das Isabel heißt. « Dieser Satz geht uns nicht aus dem Kopf.
    Teri, Ella und ich fuhren nach Hause. Es war der 1. November, der Tag, an dem der Verstorbenen gedacht wird. Ein halbes Jahr war seit der Diagnose vergangen.
    Eine der abscheulichsten religiösen Versprechungen besagt, dass Leid adelt, ein Schritt auf dem Weg zu Erleuchtung oder Erlösung ist. Isabels Leiden und Tod haben weder ihr oder uns oder der Welt genützt. Wir haben nichts gelernt, was zu lernen sich gelohnt hätte, keine Erfahrung gemacht, die anderen von Nutzen sein könnte. Und Isabel wurde ganz gewiss nicht mit der Aufnahme in eine bessere Welt belohnt, denn für sie gab es nichts Besseres, als zu Hause bei ihrer Familie zu sein. Ohne Isabel blieb Teri und mir ein Ozean von Liebe, die wir nicht mehr verschenken konnten. Wohin mit all der Zeit, die wir bis dahin Isabel geschenkt hatten? Wir mussten in einer Welt leben, die nur von Isabel ausgefüllt werden konnte. Ihre unauslöschliche Abwesenheit ist nun ein Organ in unseren Körpern, dessen Funktion einzig darin besteht, unablässig Schmerz zu verursachen.
    Ella redet oft von Isabel. Wenn sie über ihren Tod spricht, dann mit passenden, tief empfundenen Worten. Sie hat die gleichen Fragen und die gleiche Sehnsucht wie wir. Einmal fragte sie mich vor dem Einschlafen: » Warum ist Isabel gestorben? « Ein andermal sagte sie: » Ich will nicht sterben. « Kürzlich erklärte sie unvermittelt, dass sie Isabels Hand halten wolle, dass ihr Isabels Lachen fehle. Wenn wir sie fragten, ob sie Isabel vermisse, verweigerte sie mitunter jede Antwort und reagierte mit einer Schroffheit, die wir sofort erkannten – über selbstverständliche Dinge muss man keine Worte verlieren.
    Mingus führt weiterhin sein imaginäres Leben. Obwohl er oft bei uns ist, wohnt er wieder bei seinen Eltern und mit einer schwankenden Zahl von Geschwistern (seit Kurzem sind es zwei Brüder, Jackson und Cliff, und eine Schwester, Piccadilly). Inzwischen hat er eigene Kinder – einmal waren es drei Söhne, von denen einer Andy hieß. Als wir in den Skiurlaub fuhren, wollte Mingus lieber Snowboard fahren. Als wir Weihnachten nach London flogen, fuhr er nach Nebraska. Er spielt Schach, offenbar ganz gut. Manchmal schreit er Ella an ( » Sei still, Mingus! « , schreit sie zurück), dann spricht er wieder mit Isabels Stimme, weil er seine eigene verloren hat. Er ist auch ein talentierter Zauberer. Mit seinem Zauberstab, sagt Ella, kann er Isabel wieder lebendig machen.

Dank
    Ich schreibe erzählende Literatur, weil ich nicht anders kann, nicht-fiktionale Literatur schreibe ich nur unter Druck. Mein Dank geht daher an all jene, die mich gedrängt haben, mein Zaudern und meine Trägheit zu überwinden: Slavenka Drakulić und Richard Swartz, John Freeman, Sean Wilsey und das McSweeney-Team, Lee Froelich, David Remnick und besonders Deborah Treisman, die bei schwierigen Texten kluge, verständnisvolle und freundliche Wegbegleiter waren. Mein Lektor Sean McDonald, der Tony Soprano der New Yorker Verlagswelt, stand mir loyal zur Seite. Meiner Agentin Nicole Aragi, die quasi schon zur Familie gehört, zeige ich meine Dankbarkeit normalerweise, indem ich etwas für sie koche – ein Dankeswort ist gleichwohl angebracht, denn mit ihrer Geduld, Liebenswürdigkeit, Großzügigkeit und dem einen oder anderen Rüffel half sie mir über gelegentlich schwierige Phasen hinweg. Meine Schwester Kristina und mein engster Freund Velibor Bo ž ović Veba haben ihre Erinnerungen und vieles andere mit mir geteilt. Meine Eltern, Petar und Andja, haben meine Kindheit und Jugend ertragen und sind mir mit ihren Erzählungen Freunde und Helden geworden. Teri Boyd, meine Frau und Gefährtin, mein Ein und Alles, macht alles möglich und erträglich. Und meine Töchter Ella, Isabel und Esther erfüllen mein Leben mit Liebe und geben ihm Sinn.

Notiz des Verlags
    » Das Leben der anderen « (The Lives of Others) erschien auf Deutsch erstmals unter dem Titel » Anders-Fragen « (The Other Questions) in der Übersetzung von Susanne Van Volxem in: » Der andere nebenan. Eine Anthologie aus dem Südosten Europas « , herausgegeben von Richard Swartz, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2007. Für den Abdruck in » Das Buch meiner Leben «
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