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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben
Autoren: Alexander Heamon
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Hundehütte. Freunde fragten mich oft, warum ich nicht schon längst ausgezogen sei – worauf ich keine Antwort hatte, ich weiß es bis heute nicht, vielleicht war es ein besonders schwerer Fall von Katastropheneuphorie. Ich sprach von Hundetagen, Hundeleben, vor die Hunde gehen, Hundehütte, auf den Hund gekommen. Sogar die Tatsache, dass es um die Ecke einen Schnellimbiss gab, wo man gute Hot Dogs bekam, erschien mir bedeutsam. Natürlich sah ich mich in dem Song » Move It on Over « , in dem Hank um halb elf nach Hause kommt und feststellen muss, dass seine Frau ihn ausgesperrt hat: She changed the lock on our front door. / My door key don’t fit no more. Er beschließt also, die Nacht in der Hundehütte zu verbringen, und singt: Move over skinny dog, fat dog’s moving in. Ich fühlte mich nicht viel anders, das war doch auch meine Erfahrung: This dog house shared is mighty small / But it’s better than no house at all.
    Alles auf sich zu beziehen ist natürlich eine schmeichelhafte Form von Selbstmitleid (als ob es eine andere gäbe), zu der ich schon immer geneigt habe. Ich war so einsam, dass ich hätte heulen können. Ich hatte den Blues. Ich war ein Mensch ohne Zuhause, mutterseelenallein, von niemandem geliebt – ich war der Protagonist vieler Songs von Hank Williams. Doch an dem Tag, als ich Marys Wohnung betrat und den Albtraum ihres Lebens sah, hatte ich eine Offenbarung: Ich war ein Loser, der es für den Inbegriff von Freiheit hielt, aus Koffern zu leben und Raumspray der Sorte Apfel und Geißblatt einzuatmen.
    Als ich nach einem lausigen Tag im Coffee Shop in meine Hundehütte zurückkehrte, war die Tür von Marys Apartment geschlossen. Ich hörte sie mit Kramer und seinen munter bellenden Freunden sprechen. Auch eine Männerstimme war zu hören, vielleicht war es ihr Ehemann. In meinem Studio sah ich die ganze Verwahrlosung, die von meinem Single-Dasein Besitz ergriffen hatte. Überall lagen Sachen herum, haufenweise Fast-Food-Schachteln, Zeitungen, zerfledderte Bücher, geöffnete Koffer und wackelige CD -Türme. Schmutziges Geschirr im Spülbecken, dicke Fliegen schwirrten wie Bussarde über dem Küchentisch, der sich zum Mittelpunkt eines neuen Ökosystems entwickelte. Überall Haare im Badezimmer, die Toilettenschüssel mit einem ekelhaft gelbbraunen Rand. Ich war ganz unten angekommen.
    Das Gute ist, dass es dann nur noch aufwärtsgehen kann. In dieser Zeit lernte ich Teri kennen. Sie hatte per E-Mail angefragt, ob ich für ein von ihr herausgegebenes Fotobuch mit dem Titel Chicago in the Year 2000 etwas schreiben würde. Ende Februar 2005 trafen wir uns zu einer Besprechung. In meiner Schusseligkeit hatte ich angenommen, dass es sich bei Teri um einen Mann handelte, doch als eine hochgewachsene, attraktive Frau mich in ihrem Büro begrüßte, erkannte ich sie sofort und unzweifelhaft als die Frau, die ich liebe. Während unserer Besprechung sah ich, wie perfekt ihr Gesicht funktionierte. Ich versuchte, in ihrem Büro Informationen über sie zu entdecken. An ihrem Bildschirm klebte eine Ultraschallaufnahme eines Fötus (von ihrer Schwester, wie sie berichtete); während sie mir die für das Buch geplanten Fotos zeigte, hielt ich Ausschau nach einem Ehering an ihren Fingern. Ich war mit all ihren Ideen einverstanden und schlug vor, die Besprechung in einem Lokal fortzusetzen, und fand mich sehr clever.
    Bevor ich Teri kennenlernte, hatte ich mir vorgenommen, mein neues Junggesellendasein mit gedankenlosen Affären auszufüllen. Ich war wild entschlossen, mich für die vergeudete Zeit der Treue gegenüber L. schadlos zu halten. In Gedanken ging ich meine Lesereisen und Auftritte bei Literaturfestivals durch, um mich all der Frauen zu entsinnen, die mir ihr Interesse an einem (kurzen) sexuellen Abenteuer signalisiert hatten. » Wissen Sie noch? Vor sechs Jahren haben wir einen intensiven Blick gewechselt, doch dann habe ich weggeschaut « , würde ich sagen. » Aber jetzt bin ich wieder da, mit Begehren im Herzen und Kondomen in der Tasche. « Dieses Vorhaben gab ich ein für alle Mal auf, weil ich mich so schnell und so heftig in Teri verliebte, dass ich mir sofort überlegte, was zu tun war, damit ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen konnte. Zuallererst musste ich mir neue Klamotten besorgen. Kaum hatte ich ihr Bürogebäude verlassen, kaufte ich ein neues, modisches Sakko, das einem charmanten jungen Schriftsteller vermutlich sehr viel besser stand als einem beschäftigungslosen
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