Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman
Autoren: Dbc Pierre
Vom Netzwerk:
Schweigen sagt er dann: »Kommen Sie nicht mit?«
    »Nein«, sage ich.
    Wieder verstreichen einige Augenblicke. Dann geht er hinaus und schließt die Tür hinter sich. Auf dem Korridor wird gemurmelt, und als das aufhört, nähern sich Schritte.
    »Gabriel Brockwell?«, ruft ein Mann hinter der Tür. Er ruft ohne große Emphase, in einem Tonfall, der ihn für den Fall, dass er keine Antwort bekommt, nicht blöd dastehen lässt.
    Ich schenke ihm keinerlei Beachtung. Ich werde hier warten, bis alles ruhig ist, und dann abhauen. Ich kann spüren, wie er hinter der Tür dumm aus der Wäsche schaut, ihn zu ignorieren stresst mich aber überhaupt nicht, eigentlich ist mir alles komplett egal. Die Anspannung ist weg, ich kann mich jederzeit umbringen.
    »Gabriel?«
    Als ich meinen Namen höre, schreibe ich ihn auf.
    Ein Titel erscheint: Das Buch Gabriel.
    Dann ein Untertitel: Alles – für Affen, Hunde und Dichter.
    Alles ist besser als Jegliches , weil es scheint, als ob die Dinge immer auf ein- und dieselbe Art und Weise entstehen. 5 Um massenhaft Pseudo-Industrien zu stützen, haben uns die Märkte glauben gemacht, dass jeder noch so kleine Bereich des Lebens hochspezialisiert ist und deswegen Waren und Dienstleistungen braucht, um unter Kontrolle zu bleiben; dabei ist die Natur eigentlich vorhersagbar und ziemlich langweilig, das unterscheidet den Käfer, der gerade einem Vogel entwischt, nicht vom Radiologen, der gerade ein Brustbild erstellt. Was die Geschöpfe im Titel anbelangt, so habe ich den Eindruck, dass sie sämtlich Botschafter des menschlichen Geistes sind, Leitmotive, denen Zauber und Selbsthass entwachsen. Möglicherweise haben sie sogar ihren eigenen Himmel, warum nicht? Immerhin behauptet Swedenborg, dass auch Türken und Holländer ihre gesonderten Paradiese haben.
    Die Aufzeichnungen sind damit offiziell eröffnet, und in meinem Limbus herrscht ein investigativer Geist. Gleichzeitig ist eine Fassade errichtet, die einem Geschäftsmann oder sogar einer Regierung angemessen ist; plötzlich speist sich unsere Mission nicht mehr aus Übermut, sondern ist wissenschaftlich geworden, ein unerschrockenes, selbstloses Engagement für die Vermehrung menschlicher Erkenntnis. Aus diesem Grunde sollten unsere Notizen klar sein, und Sie werden es mir verzeihen, wenn meine Sprache förmlich klingt: Wer ein Licht werfen will auf einen Niedergang, eine Ära der Dekadenz, der muss Abstand nehmen von deren Umgangssprache, die vorsätzlich deformiert wurde, um jegliche Abscheulichkeit zu sanktionieren. Ist nicht die Sprache der Stützpfeiler der Zivilisation? Sollte sie nicht Absurdes und Abgründiges bis ins Kleinste benennen und keinen Raum lassen für Irrtümer und Ausflüchte? 6 Entschlossen stehe ich vom Sofa auf. Meine Habseligkeiten dürfen gern am Empfang bleiben, Smuts wird Geld haben, Smuts wird Essen und guten Wein haben.
    Aber gerade als ich an der Tür bin, nähern sich neue Schlurfgeräusche.
    Ein Männerkopf schiebt sich in den Raum der Stille:
    »Ach, da sind Sie ja.«

2
    David West ist ein blässlicher Mann, der sich sicher leicht blaue Flecken holt. Seine Augen sind wie gekochte Eier, glanzlos, unter dem Weiß deutet sich sogar ein schemenhaftes Gelb an. Augenhöhlen wie Eierbecher halten sie an Ort und Stelle. Ich kann mich nicht für ihn erwärmen.
    »Sie sind ja nicht einfach zu finden«, sagt er. »Die Sitzung hat angefangen, wollen Sie nicht zu uns kommen?«
    »Nein«, sage ich.
    Gleichzeitig lächelnd und mich missbilligend musternd führt er mich aus dem Raum der Stille. »Sie sehen furchtbar aus. Wir haben uns schon gefragt, ob Sie überhaupt noch mal aufwachen.«
    »Mir geht’s gut. Ein Stück Kuchen wäre allerdings nicht schlecht.«
    »David, da sind Sie ja.« Hocherfreut über sein Erscheinen reckt das Dalí-Mädchen den Kopf über den Empfang. »Mister Brockwell braucht ein bisschen Unterstützung.« Stumm formt sie die Worte: »Er wirkt ziemlich auf-ge-regt .«
    Das ist ein Alarm-Code. Sie sehen sich an, eine Pause entsteht. Das Dalí-Mädchen versucht mit Gezwinker, David zu meinem Formular auf dem Tresen zu locken, und richtet es der Einfachheit halber schon mal richtig aus. Mit einer Geste falscher Kameraderie, einer zynischen Technik der Vortäuschung menschlicher Wärme, legt er kurz die Hand auf meine Schulter, als er an mir vorbeigeht, um es zu lesen. Kaum hat er ein Auge darauf geworfen, scheint ihn Mattheit zu überkommen, wie einen Wanderer, der feststellt, dass die Entfernung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher