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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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gedämpft. Weitere Schüsse erklangen. Trommelwirbel setzte ein. Niemand hörte seinen letzten Schrei.

Sechstes Kapitel
     
    1. Juli 1789
    Sternwarte Mannheim
    Johann Christian von Mannlich trat durch das weite Portal in den Eingangssaal der neuerrichteten Sternwarte. Das Gemälde vorsichtig in Händen, lief er zum Treppenhaus. Stufe um Stufe stieg er empor, vorbei an der Kabinettwohnung des Astronomen im zweiten Stock und dem Instrumentensaal darüber. Er passierte ebenso die Bibliothek im vierten und den zweiten Beobachtungssaal im obersten Stockwerk.
    Erst als er die letzte Treppenstufe erklommen hatte, hielt er inne, verschnaufte einen kurzen Moment und trat auf das Dach. Er sah die Silhouette des Kurfürsten, mit beiden Armen auf das Geländer gestützt, umrahmt vom Schein der tief stehenden Abendsonne.
    Der Herrscher wandte ihm den Rücken zu, ließ den Blick über seine Stadt im gelbgoldenen Licht schweifen, als würde die Welt um ihn herum stillstehen.
    Mannlich ging auf ihn zu, ehrfürchtig und voll Angst, Carl Theodor aus seinen Gedankenträumen aufzuschrecken. Behutsam räusperte er sich, als er hinter dem Herrscher zu stehen kam.
    »Ah, mein guter Mannlich«, sagte Carl Theodor, ohne sich umzuwenden.
    »Ihr habt mich rufen lassen, mein Fürst.«
    Der Landesvater schwieg. Mannlich ließ das Gemälde in seinen Händen vorsichtig sinken. Es wunderte ihn, dass der Kurfürst ihn an diesen Ort bestellt hatte. Auch verstand er nicht, warum Carl Theodor ihn damit hatte beauftragen lassen, das Porträt im Kabinett des Kurfürsten abzuhängen und zu dem Treffen mitzubringen.
    »Seht Euch diese Stadt an, Mannlich.«
    Der Maler blickte über die Dächer, die unter ihnen lagen. Die Stimmung raubte ihm den Atem. Am liebsten hätte er das leuchtende Panorama sofort gemalt.
    »Die Menschen sagen, ich sei der wahre Schöpfer dieser Metropole.«
    Der Kurfürst erstickte ein Lachen in seinem Hals.
    »Und – seid Ihr es nicht? Es mag sein, Ihr habt die Stadt nicht gegründet. Aufgeblüht ist sie unter Euch.«
    Erneut setzte Carl Theodor zum Lachen an.
    »Was werden die Bürger sagen, wenn sie erfahren, dass ich meine Residenz endgültig nach München verlege?«
    Schweigen. Der Kurfürst war erst vor knapp neun Monaten mit seinem Hofstaat zurück nach Mannheim gekommen. Alle Welt dachte, er wolle für immer in der Stadt bleiben, um den Streitereien mit dem Münchener Magistrat zu entgehen.
    Mannlich setzte an, etwas zu sagen.
    »Still«, unterbrach ihn der Kurfürst, hob den Zeigefinger an den Mund und deutete mit der anderen Hand nach Westen. Die Sonne stand nun tief am Horizont. Nur die obere Hälfte des roten Balls ragte noch über dem Rhein empor. Es sah aus, als würde der Fluss die Sonne verschlucken.
    »Das Leben ist zu schön, um es wegzuwerfen. Findet Ihr nicht?«
    Mannlich wusste nicht, was er antworten sollte. Der Kurfürst griff nach dem Gemälde in seiner Hand, nahm es an sich und stellte es behutsam auf das Geländer. Er betrachtete es einen Moment und wirkte dabei so abwesend, als wäre er an einem anderen Ort in einer anderen Zeit.
    »Wisst Ihr noch, wie wir uns das erste Mal unterhielten?«, fragte der Kurfürst unvermittelt.
    »Im Schlosspark zu Schwetzingen.«
    »Damals ging es mir nicht gut. Am liebsten hätte ich mir das Leben genommen, Mannlich. Aber ich konnte nicht.«
    Carl Theodor stockte.
    »Schließlich wäre es eine Sünde gewesen, nicht wahr?«
    Der Kurfürst drehte seinen Kopf zu Mannlich. Der Maler schwieg und sah ihn an.
    »Selbst nach dem gültigen Recht wäre es gleichbedeutend mit dem Mord an einem anderen Menschen. Das konnte ich nicht, versteht Ihr?«
    Der Landesherr reichte Mannlich das Bild. Dann griff er nach einem Buch, das vor ihm lag, und legte die Hand darauf.
    »Glaubt mir, wenn mich jemand damals hätte umbringen wollen, ich hätte ihn dazu ermutigt, es wirklich zu tun!«
    Mannlichs Blick fiel auf das in braunem Leder gebundene Buch mit der goldenen Aufschrift Das Buch der zwei Krähen.
    »Heute sehe ich die Welt mit anderen Augen, mein guter Mannlich. Einen Thronfolger konnte ich nicht großziehen. Was soll's. Für Politik habe ich mich sowieso nie sonderlich interessiert. Obwohl ich kein guter Mensch bin, hat der Himmel es gut mit mir gemeint und mir eine Schar von Kindern geschenkt. Ich sage Euch, Mannlich, auch wenn niemals eines meiner Kinder meine Länder erben wird, so ist mein Nachwuchs doch die größte Freude meines Alters.«
    Carl Theodor sah den Maler mit starrem
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