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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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alles für mich ist, von außen betrachtet.
    Und wenn das Büro in der Rua dos Douradores für mich das Leben verkörpert, so verkörpert mein zweites [5]   Stockwerk, in dem ich in eben dieser Rua dos Douradores wohne, für mich die Kunst. Jawohl, die Kunst, die in derselben Straße wohnt wie das Leben, jedoch an einem anderen Ort, die Kunst, die das Leben erleichtert, ohne daß es deshalb leichter würde zu leben, die so eintönig ist wie das Leben selbst, nur an einem anderen Ort. Jawohl, diese Rua dos Douradores umfaßt für mich den gesamten Sinn der Dinge, die Lösung aller Rätsel, abgesehen davon, daß manche Rätsel unlösbar sind.

10
    Und so bin ich – ein belangloser, sensibler Mensch – fähig zu heftigen, verzehrenden Impulsen, bösen wie guten, edlen wie niedrigen, nie aber zu einem dauerhaften Gefühl, nie zu einer Emotion, die fortwirkte und in die Substanz der Seele einginge. Alles in mir neigt dazu, weiterzugehen und etwas anderes zu werden; es ist eine Ungeduld der Seele mit sich selbst wie mit einem lästigen Kind; eine wachsende, immer gleiche Unruhe. Alles fesselt mich und nichts hält mich. Ich achte auf alles und träume beständig; ich bemerke jedes noch so winzige Mienenspiel meines Gesprächspartners, nehme die kleinste Veränderung in seiner Stimme wahr, und während ich ihn höre, höre ich ihm nicht zu, sondern denke an etwas anderes, am allerwenigsten aber erinnere ich mich an das, was gesagt wurde, von mir und von ihm. So sage ich jemandem stets aufs neue, was ich ihm bereits mehrfach gesagt habe, oder stelle ihm eine Frage, die er mir bereits beantwortet hat; und doch kann ich mit vier photographischen Worten die Gesichtsmuskeln beschreiben, mit denen er mir sagte, woran ich mich nicht mehr erinnere, oder den Augenausdruck, mit dem er aufnahm, was ich mich nicht erinnern kann, ihm gesagt zu haben. Ich bin zwei, und beide halten Abstand – siamesische Zwillinge, die nicht miteinander verwachsen sind.

11
    Litanei
    Wir verwirklichen uns nie.
    Wir sind zwei Abgründe – ein Brunnen, der in den Himmel schaut.

12
    Ich beneide – bin mir aber dessen nicht wirklich sicher – all jene, über die man eine Biographie schreiben kann oder die ihre eigene Biographie schreiben können. Vermittels dieser Eindrücke ohne Zusammenhang und ohne den Wunsch nach Zusammenhang erzähle ich gleichmütig meine Autobiographie ohne Fakten, meine Geschichte ohne Leben. Es sind meine Bekenntnisse, und wenn ich in ihnen nichts aussage, so weil ich nichts zu sagen habe.
    Was schon könnte man an Lohnenswertem oder Nützlichem bekennen? Was uns widerfahren ist, ist entweder allen widerfahren oder uns allein; in dem einen Fall ist es nichts Neues, im anderen unbegreiflich. Wenn ich schreibe, was ich empfinde, dann weil ich auf diese Weise das Fieber meines Empfindens senke. Was ich bekenne, ist nicht von Bedeutung, denn nichts ist von Bedeutung. Ich mache Landschaften aus dem, was ich empfinde. Mache Ferien von meinen Gefühlen. Ich begreife ohne weiteres, daß Frauen aus Kummer sticken und Strümpfe stricken, weil es Leben gibt. Meine alte Tante legte endlose Abende lang Patiencen. Meine Patiencen sind meine Gefühlsbekenntnisse. Ich deute sie nicht, wie jemand Karten legt, um sein Schicksal zu erfahren. Ich prüfe sie nicht, denn in den Patiencen besitzen die Karten keinen eigentlichen Wert. Ich wickle mich auf wie ein vielfarbiger Strang oder mache mich zu einem jener Fadenspiele, wie sie Kinder auf ihren gespreizten Fingern weben und von Hand zu Hand weiterreichen. Ich achte nur darauf, daß der Daumen nicht die ihm zugedachte Schlinge verfehlt. Dann drehe ich die Hände um, und das Muster verändert sich. Und ich beginne von vorn.
    Leben heißt Strümpfe häkeln, nach fremden Vorgaben. Dabei aber sind die Gedanken frei, und alle verzauberten Prinzen können sich in ihren Gärten ergehen, zwischen den Maschen, die der Widerhaken der Elfenbeinnadel eine um die andere aufnimmt. Häkelwerk der Dinge … Zwischenräume … Nichts …
    Was, im übrigen, kann ich von mir erwarten? Eine erschreckende Schärfe meiner Wahrnehmungen und das deutliche Bewußtsein zu fühlen … Einen scharfen Verstand, der mich zerstört, und eine Fähigkeit zu träumen, die nichts als ein Ablenken ist … Einen erloschenen Willen und eine Überlegung, die ihn einwiegt, als wäre er ein lebendiges Kind … Ja, Häkelwerk …

13
    Die Erbärmlichkeit meiner Verfassung wird nicht geringer durch diese Worte, mit denen
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