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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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es dunkel wird, begleitet mich ein Lebensgefühl, ähnlich dem dieser Straßen. Bei Tage sind sie erfüllt von einem Treiben, das nichts besagt; bei Nacht sind sie erfüllt von einem fehlenden Treiben, das ebenfalls nichts besagt. Bei Tage bin ich nichts, bei Nacht bin ich ich selbst. Es besteht kein Unterschied zwischen mir und den Straßen in der Umgebung der Alfândega, abgesehen davon, daß sie Straßen sind und ich Seele, was in Anbetracht des Wesens der Dinge vielleicht unwesentlich ist. Es gibt ein gleiches, weil abstraktes Schicksal für Menschen und Dinge – eine gleichermaßen gleichgültige Bezeichnung in der Algebra des Geheimnisses.
    Doch da ist auch noch etwas anderes … In diesen langsamen, leeren Stunden steigt die Traurigkeit meines gesamten Seins von meiner Seele auf in meinen Geist, das bittere Bewußtsein, daß alles eine Empfindung von mir und zugleich etwas Äußerliches ist, das zu verändern nicht in meiner Macht steht. Ach, wie oft entstehen meine eigenen Träume nur als Dinge, nicht um mir die Wirklichkeit zu ersetzen, sondern um mir zu sagen, wie sehr sie ihr gleichen, da ich sie ebenfalls ablehne und sie außerhalb von mir erscheinen, wie die Elektrische, die gerade um die Kurve am Ende der Straße biegt, oder die Stimme des öffentlichen Ausrufers, der ich weiß nicht was in den Abend verkündet, das sich gegen die Monotonie der Dämmerung abhebt wie ein arabischer Gesang, wie ein plötzlicher Fontänenstrahl.

    Künftige Paare schlendern vorbei, Näherinnen gehen zwei und zwei vorüber, junge Männer eilen zu irgendeinem Vergnügen, von allem befreite Ruheständler rauchen auf ihrem täglichen Spaziergang, vor der einen oder anderen Tür stehen gedankenverloren und müßig die Ladenbesitzer. Langsam nachtwandeln Rekruten – kräftige und schmächtige Burschen – in bald lautstarken, bald mehr als lärmenden Gruppen. Zuweilen erscheinen auch ganz normale Leute. Automobile sind hier zu dieser Tageszeit selten, klingen für mich wie Musik. In meinem Herzen herrscht ein beklemmender Friede, und meine Ruhe ist Resignation.
    All dies geschieht, und nichts von alledem sagt mir etwas, alles ist meinem Schicksal fremd und sogar dem Schicksal selbst – Unbewußtheit, Flüche ohne Sinn und Verstand, als werfe der Zufall Steine, Echos unbekannter Stimmen – kollektiver Salat des Lebens.
(Veröffentlicht in der Zeitschrift Solução Editora 2 und 4, 1929)

4
    … und bei der Erhabenheit all meiner Träume, Hilfsbuchhalter in Lissabon!
    Doch der Gegensatz zerreibt mich nicht – er befreit mich; und die Ironie, die in ihm liegt, ist mein Lebenssaft. Was mich herabsetzen sollte, hisse ich als mein Banner; und das Lachen, mit dem ich über mich lachen sollte, ist ein Fanfarensignal, mit dem ich eine Morgenröte, in der ich mich selbst erfinde, erschaffe und grüße.
    Die nächtliche Seligkeit, groß zu sein, ohne etwas zu sein! Die ernste Herrlichkeit des unbekannten Glanzes … Und mit einem Mal spüre ich die Erhabenheit des Mönchs in der Einsamkeit, des Eremiten in der Einöde, der weiß, daß Christus in den Steinen anwesend ist und in weltabgeschiedenen Höhlen.
    Und an meinem Tisch in diesem absurden, schäbigen Zimmer schreibe ich namenloser kleiner Angestellter Worte, die die Rettung meiner Seele sind, und vergolde mich mit dem unmöglichen Sonnenuntergang über hohen, weiten, fernen Bergen, mit meiner Statue, dem Ersatz für die Freuden des Lebens, und meinem Ring des Verzichts, unerschütterliches Juwel ekstatischer Verachtung, an meinem Apostelfinger.

5
    Vor mir, auf der Schräge des alten Schreibpults, liegen aufgeschlagen die beiden großen Seiten des schweren Hauptbuches, von dem ich mit müden Augen und einer noch müderen Seele aufblicke. Jenseits dieser Nichtigkeit reiht das Geschäft bis zur Rua dos Douradores die regelmäßigen Regale, die regelmäßigen Angestellten, die menschliche Ordnung und die Ruhe des Alltags. Das Geräusch des Vielfältigen brandet an die Fensterscheibe, und dieses vielfältige Geräusch ist ebenso alltäglich wie die Stille neben den Regalen.
    Mit neuen Augen sehe ich die beiden weißen Seiten vor mir, in die meine sorgfältigen Zahlen die Bilanzen der Firma eingetragen haben. Und insgeheim lächelnd, denke ich, daß das Leben, das diese Seiten mit ihren Stoffbezeichnungen und Geldbeträgen beinhalten, mit ihren leeren Stellen und ihren mit dem Lineal und in Schönschrift ausgeführten Strichen auch die großen Seefahrer, die großen Heiligen,
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