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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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angehört wurden. In Mathematik wurde er an die Tafel gerufen. Es war ein Wiederholungspensum, das er beherrschte. Der Lehrer war zufrieden.
    Wakiya setzte sich an seinen Platz, ohne nach dem Mädchen geschaut zu haben. Er hätte ihr ins Gesicht sehen und triumphierend ihren Blick suchen können, wenn er gewollt hätte.
    Aber das wollte er nicht.
    Das Mädchen wurde aufgerufen, zum erstenmal an diesem Tag. »Patricia Bighorn!«
    Wakiya fuhr zusammen. Er zuckte, als ob er einen Schlag erhalten habe.
    Patricia Bighorn!
    Es gab auf der Reservation nur eine einzige Familie Bighorn außer derjenigen, aus der Wakiya stammte.
    Und diese Familie Bighorn war mit der Familie King noch viel bitterer verfeindet, als es je die Familien King und Wirbelwind gewesen waren. Nie würde Wakiya Patricia Bighorn besuchen dürfen. Nie würde sie auf die King-Ranch kommen.
    Nie.
    Aber Wakiya-knaskiya würde nicht aufhören, an dieses Mädchen zu denken, so, wie er mit einem Schlage aufgehört hatte zu glauben, daß er Susanne, die hübsche, redegewandte, die zierliche, schnelle, kluge Susanne Wirbelwind je würde lieben wollen. Er hatte aufgehört zu glauben, daß Susanne hübsch sei. Patricia Bighorn war nicht hübsch. Das Wort hübsch war so fern von ihr wie ein Kaninchen von einer Antilope.
    Patricia war ein Geheimnis, das künftig mit Wakiya gehen würde, ohne daß Patricia etwas davon ahnte.
    Das Mädchen Patricia Bighorn stand an der Tafel und demonstrierte nur die Hälfte von dem, was sie klarlegen sollte. Wakiya hörte aus ihren Worten heraus, daß sie alles wußte. Aber es gab eine Klammer der Angst und der Verwirrung, die ihr die deutliche Rede verwehrte. Wakiya erlitt den Druck der Klammer mit. Er sah den großen Bruder hinter Patricia stehen. Wie ein häßlicher Geist stand er hinter ihr. Sein Name war Sidney.
    Er war am Stammesgericht als Ankläger bestellt gewesen.
    Bis der blinde Richter ihn gefragt hatte, ob es wahr sei, daß Sidney Brandy auf die Reservation geschmuggelt habe. Joe King habe die Beweise.
    Da hatte Sidney Bighorn nach Hause gehen müssen, mit Schande beladen, nach Hause zu dem Vater, der ein Kriegsinvalide und ohne Arbeit war, und zu den neun Geschwistern, die wenig zu essen hatten. Daheim quälte er nun Patricia und sagte ihr, daß sie eine bessere Schülerin werden müsse, um einmal verdienen zu können. Es gab noch immer wenig Arbeit auf der Reservation und noch viel weniger gut bezahlte Arbeit. - Die Bighorns haßten die Kings. So und nicht anders verhielt es sich. Auch Wakiyas innere Augen waren hell und scharfsichtig.
    Patricia stand noch immer vor der Tafel. Der Mathematiklehrer konnte sich nicht so in seine indianischen Schüler hineinfühlen, wie Mr. Ball das vermochte. Wakiyas Seele brannte. Er war am Marterpfahl. Es war ihm später selbst nicht mehr bewußt, wie er es hatte wagen können, sich zu melden und den Lehrer zu bitten, daß er zu Patricia Bighorn an die Tafel gehen und mit ihr zusammen die Aufgabe lösen dürfte. Vielleicht hatte der Lehrer nur zugestimmt, um Patricia noch mehr zu beschämen, da sie sich von einem Jungen helfen lassen sollte, der aus der fünften Klasse kam.
    Wakiya führte ihr die Hand, die die Kreide hielt, und spürte, wie kalt die Hand war. Er begann zu sprechen, und sie faßte Mut und sprach weiter, und es zeigte sich, daß sie die Aufgabe lösen konnte. Beide durften sich setzen.
    Wakiya sah nichts mehr rings um sich. Es war ein Glück, daß er nicht mehr gefragt wurde. Vielleicht hätte er wirres Zeug geredet. Aber im Schweigen blieb ihm der Ruhm des Tages, als jüngster Schüler ein guter Schüler in dieser neuen Klasse zu sein.
    Der Unterricht ging zu Ende. Es war vier Uhr nachmittags. Hanska strahlte und wollte sogleich losreiten. Wakiya zögerte noch, doch zögerte er vergeblich. Was er mit einem dünnen Schimmer der Hoffnung erwartet hatte, geschah nicht. Es geschah, was er fürchtete.
    Das Mädchen Patricia Bighorn schaute sich beim Verlassen der Schule nicht nach ihm um. Sie stieg in den Schulbus ein, den Kopf gesenkt, die Augen abgewandt. Sie nahm einen Platz, der nicht am Fenster war, und sie schaute nicht heraus.
    Hanska jauchzte und galoppierte mit seinem Pony ein Stück neben dem Schulbus her. Die Kleine, Runde, Lustige drückte das Gesicht an die Scheibe, und da war noch ein Bub, ein kräftiger, ernsthafter Bub, der Hanska winkte.
    Hanska hatte das Pony angehalten und wartete auf Wakiya.
    »Hast du den Buben gesehen, Wakiya-knaskiya? Das ist Norris
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