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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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das Kind schloß die Lider fest und hielt die kleinen Fäuste vor die Ohren, um die leere Prärie nicht mehr zu sehen und die Sprache ihrer Stille nicht mehr zu hören; es lauschte nur noch auf den Gesang des Vaters. Als der Vater ihm aber über das lange schwarze Haar strich und dann die Hand auf dem Kopf seines Kindes ruhen ließ, in einer sanften und sachten Art wie eine Mutter, öffnete Wakiya-knaskiya die Augen wieder und nahm die kleinen Fäuste von den Ohren, denn er brauchte keine Gewalt mehr, um zu vergessen, was er mit seinen äußeren Augen sah und mit seinen äußeren Ohren hörte; die inneren hatten sich geöffnet. Der Vater bewegte die Füße im Takt und hob beide Hände; er sang dabei mit seiner tiefen, dem Kinde so vertrauten Stimme, und Wakiya konnte alles schauen, was der Vater erschaute, nur undeutlicher und geheimnisvoller noch, denn er war erst vier Jahre alt.
    Ein langer, schweigender Zug kam heran, stolze Männer, braunhäutig, hager, in prächtig gestickten Röcken aus Hirschleder, an den Nähten hingen die Skalphaare besiegter Feinde. Einer von ihnen trug Wapaha, die Krone aus Adlerfedern, ein zweiter die Haube mit Büffelhörnern und weißem Hermelin, ein dritter den Balg eines Falken. Dieser letzte hielt den langen Stab in der Hand, dessen gekrümmtes Ende von Fell umkleidet war und an dem Adlerfedern hingen. Die Hand des großen Kriegers pflanzte den Stab mitten zwischen wildes Gras und vertrocknete Kakteen in die Erde, die hier rot war, und der Vater sang:
    »Das ist unser Land, solange Gras grünt, solange Schnee schmilzt, solange die Bäche von den weißen Bergen kommen und unsere Männer die heilige Pfeife nicht vergessen. Die Toten und die Büffel kommen wieder.«
    Ein langer Zug hielt hinter den drei Kriegern, hinter dem ersten mit der Krone aus Adlerfedern, hinter dem zweiten mit dem Ehrenzeichen aus Büffelhörnern und Hermelin und hinter dem dritten mit dem Balg eines Falken als Schmuck und mit dem gekrümmten Stab, dem Wahrzeichen des Landesherrn, in der Hand. Mustang stand hinter Mustang; Zeltstangen waren über den Pferderücken gekreuzt und die Lasten angehängt. Rechts und links hielten Reiter, sattellos, nackt bis auf Gürtel und Schurz, Ketten aus Bärenkrallen über Nacken und Brust, Pfeile im Köcher, Messer in der Scheide, Speere in der Hand. Die Frauen auf den Lastpferden hielten die Augen gesenkt. Die Jungen auf den Ponys, die Mädchen, die hinter den Müttern auf den Pferderücken saßen, die Kinder in den Rutschen hinter den Mustangs, die Säuglinge in den Tragen rührten sich nicht. Nicht einmal die Hunde gaben einen Laut. Aber der Vater sang die Lieder, die die Männer und Frauen in den hirschledernen Kleidern einst gesungen hatten, und er bewegte die Füße in dem Takt, in dem sie ihren letzten Tanz zum Gebet getanzt hatten. Als der Vater verstummte, waren sie alle verschwunden, die schweigenden Häuptlinge und Krieger, die Frauen und Mädchen, die Kinder, die Mustangs und die Hunde. Aber da, wo die Erde rot war, war ein Stab eingerammt, mit Adlerfedern behängt, die gekrümmte Spitze mit Fell geziert. Der Vater führte Wakiya zu dem Stabe und sprach: »Es ist unser Land. Die Toten sind meine Väter und deine Väter. Da, wo du sie gesehen hast, sind sie gezogen, Krieger und Knaben, Frauen und Mädchen. Hier sind sie gezogen, und jenseits der Hügel haben sie gelagert. Es kamen aber die Geister, die das Geheimnis des Donnervogels gestohlen haben. Ihre Mazzawaken blitzten, ihre Mazzawaken krachten. Das Blut sickerte in die Erde, aus der das Gras wächst. Die Häuptlinge und Krieger starben, die Frauen und Mädchen starben; die Kinder schrien und versteckten sich. Da sagten die Geister freundliche Worte, aber ihre Zungen waren gespalten, und als die Kinder wieder hervorkamen, blitzten die Mazzawaken, krachten die Mazzawaken, und auch die Kinder starben.
    Bei jenem Zuge, Wakiya, ist mein Großvater gewesen, der dein Urgroßvater war, und er starb. Bei jenem Zuge sind zwei seiner Brüder gewesen, Wakiya, und seine jüngere Schwester, und sie starben. Sie liegen miteinander und mit allen Toten in einer tiefen Grube; die Geister haben die Grube gegraben und unsere Toten dort hineingeworfen. Mein Vater aber ist ihren Händen entflohen, und als ich so alt war wie du, Wakiya, als ich vier Winter gesehen hatte, sagte mir mein Vater alles, und ich sage es dir, und du hast sie gesehen. Die Toten und die Büffel aber werden wiederkommen. Ja.«
    Wakiya hatte auf die Worte des
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