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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild
Autoren: Stephen King
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BankCard oder das Geld,
das sie damit holen konnte. Ihr rotes Auto war ein neuer Sentra und - Zufall über Zufall! - war das Auto, das auf sie
zukam, nicht auch ein roter Sentra?
Nein, es ist ein Honda!
Aber es war kein Honda, das wollte sie nur glauben. Es war
ein Sentra, ein brandneuer roter Sentra. Sein roter Sentra. Ihr
schlimmster Alptraum war buchstäblich in dem Moment
wahr geworden, als sie daran gedacht hatte.
Einen Augenblick fühlten sich ihre Nieren unglaublich
schwer an, unglaublich schmerzhaft, unglaublich voll, und
sie war sicher, sie würde sich in die Hose machen. Hatte sie
wirklich geglaubt, sie könnte ihm entkommen? Sie mußte
den Verstand verloren haben.
Jetzt ist es zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, sagte
    Ms. Praktisch-Vernünftig zu ihr. Deren bibbernde Hysterie
war verschwunden; sie schien der einzige Teil ihres Verstands zu sein, der noch einen klaren Gedanken fassen
konnte, und der sprach nun mit dem kalten, berechnenden
Tonfall eines Geschöpfs, das Überleben über alles stellt. Du
solltest dir schnellstens überlegen, was du ihm sagen willst, wenn
er anhält und dich fragt, was du hier zu suchen hast. Und es sollte
gut sein. Du weißt, wie schlau er ist und wieviel er sieht.
    »Die Blumen«, murmelte sie. »Ich hab einen kleinen Spaziergang gemacht, weil ich sehen wollte, wessen Blumen
schon austreiben, das ist alles.« Sie war stehengeblieben,
preßte die Schenkel fest zusammen und versuchte zu verhindern, daß der Damm brach. Würde er ihr glauben? Sie wußte
es nicht, aber es würde genügen müssen. Etwas anderes fiel
ihr nicht ein. »Ich wollte nur bis zur Ecke St. Mark’s Avenue
gehen und dann zurückkommen, um die Böden zu …«
    Sie verstummte und sah mit großen, fassungslosen Augen,
wie das Auto - doch ein Honda, nicht neu, und eigentlich
mehr orange als rot - langsam an ihr vorbeifuhr. Die Frau
hinter dem Lenkrad betrachtete sie mit einem merkwürdigen Blick, und die Frau auf dem Bürgersteig dachte: Wenn er
es gewesen wäre, hätte keine Geschichte gereicht, wie plausibel
auch immer - er hätte dir die Wahrheit im Gesicht geschrieben
gesehen, unterstrichen und mit Neonscheinwerfern angestrahlt.
Eist du jetzt bereit, wieder zurückzukehren? Vernunft anzunehmen und zurückzukehren?
    Sie konnte es nicht. Der überwältigende Drang zu urinie ren war vorbei, aber ihre Blase fühlte sich immer noch
schwer und übervoll an, ihre Nieren pochten immer noch,
ihre Beine zitterten und das Herz schlug ihr so heftig in der
Brust, daß sie es mit der Angst zu tun bekam. Sie hätte
unmöglich wieder den Hügel hinauf gehen können, obwohl
es nicht besonders steil war.
    Doch, du kannst. Du weißt, daß du es kannst. Du hast in deiner
Ehe Schlimmeres bewältigt und überlebt.
Okay - vielleicht hätte sie es den Hügel hinauf geschafft,
aber jetzt ging ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf.
Manchmal rief er an. Für gewöhnlich fünf- oder sechsmal
pro Monat, aber manchmal auch öfter. Nur hallo, wie geht es
dir, soll ich einen Karton H-Milch oder einen Becher Eis mitbringen, okay, tschüß. Aber sie spürte nichts Fürsorgliches
an diesen Anrufen, keine Zuneigung. Er überwachte sie, das
war alles, und wenn sie nicht ans Telefon ging, würde es einfach läuten. Sie hatten keinen Anrufbeantworter. Sie hatte
ihn einmal gefragt, ob es nicht praktisch wäre, sich einen
zuzulegen. Er hatte ihr einen durch und durch unfreundlichen Stoß gegeben und gesagt, sie sollte ihren Kopf gebrauchen. Du bist der Anrufbeantworter, hatte er gesagt.
Wenn er nun anrief und sie war nicht da?
Dann wird er denken, daß ich früher zum Markt gegangen bin,
das ist alles.
Aber das würde er nicht. Das war es. Heute vormittag die
Fußböden, heute nachmittag der Markt. So war es immer
gewesen, und er ging davon aus, daß es so immer sein
würde. Spontaneität wurde in der Westmoreland Street 908
nicht gefördert. Wenn er anrief …
Sie setzte sich wieder in Bewegung, wohl wissend, daß sie
die Westmoreland an der nächsten Ecke verlassen mußte,
auch wenn sie sich nicht sicher war, wohin die Tremont in
beiden Richtungen führte. Das war im Moment nicht wichtig; wichtig war, sie befand sich auf dem direkten Heimweg ihres Mannes, wenn er, wie gewöhnlich, auf der I-295
von der Stadt zurückkam, und sie kam sich vor, als wäre
sie mitten aufs Schwarze einer Schießscheibe gebunden
worden.
Sie bog nach links in die Tremont ab und passierte weitere
ruhige Vorstadthäuschen, die durch niedrige Hecken
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