Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)

Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)

Titel: Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Autoren: Meg Donohue
Vom Netzwerk:
nahm ich es dankbar an und steuerte schnell auf eine der drei Balkontüren zu, die auf eine riesige schiefergraue Terrasse hinausführten.
    Es war ein schöner Tag Ende Juni, der längste Tag des Jahres lag bereits hinter uns, und für San Francisco war der Abend ungewöhnlich klar und warm. Die Heizlampen auf der Terrasse waren noch nicht einmal angeschaltet. Die Bucht schillerte im Licht der untergehenden Sonne, das der Brücke die Farbe eines Red Velvet Cake verlieh und den Himmel über den graugrünen Eukalyptusbäumen des Presidio-Geländes in ein pfirsichfarbenes Licht tauchte. Im Süden erhob sich die Gefängnisinsel von Alcatraz dunkel aus dem Wasser; ich fragte mich, ob der ein oder andere Finanzhai, der in seiner Villa in Pacific Heights krumme Geschäfte abwickelte, bei diesem Anblick ins Schwitzen geriet, wenn er seinen Martini kippte. Ich unterdrückte ein Grinsen, lehnte mich über die Brüstung und berauschte mich an der Aussicht. Um die Wirkung noch zu verstärken, trank ich meinen Wein in einem Zug hinunter.
    »Annie? Tatsächlich, du bist es !«
    Diese Stimme. Ich fuhr herum. Vor mir stand Julia St. Clair. Sie war groß und gertenschlank wie eh und je, und ihre glänzenden blonden Haare waren so geschnitten, dass sie schnurgerade bis auf die Schultern fielen. Die schlichte Frisur, die ihr die Eleganz einer Pariserin verlieh, umrahmte ein Gesicht von unverändert anmutiger Schönheit.
    »Julia!«, sagte ich und spürte, wie meine Waden sich verkrampften. Das passierte immer, wenn mich Angst überkam. Als würde mein Körper, den ich höchstens auf dem Weg zur Bushaltestelle zum Laufschritt zwang, in solchen Situationen einem angeborenen Fluchtinstinkt folgen. Die Nähe dieser Frau, schienen meine Beine mich zu warnen, senkt deine Überlebenschancen!
    Julia umarmte mich. Ein leichter Duft von Rosenblüten hüllte mich ein. »Du siehst überrascht aus. Hat Mom dir nicht gesagt, dass ich hier bin?«
    »Nein«, sagte ich kühl. »Kein Wort.«
    Entweder bemerkte Julia meinen Ton nicht, oder sie überhörte ihn absichtlich. »Komisch. Na ja, ich wohne wieder zu Hause. Natürlich nur vorübergehend.« Sie lächelte und betrachtete den Diamantring an ihrer linken Hand. »Ich bin verlobt. Eine Hochzeit in Kalifornien komplett von New York aus zu organisieren wäre der Horror gewesen, also habe ich mich hier einquartiert. Wir heiraten im Frühjahr oben am Weinberg.«
    Das mit der Verlobung hatte Lolly tatsächlich erwähnt. Julias Zukünftiger, Wesley Irgendwas, war einer dieser Senkrechtstarter aus dem Silicon Valley. Allerdings hatte Lolly nicht dazugesagt, dass Julia wieder in San Francisco war. Diese Intrigantin! , dachte ich. Machiavelli wäre beeindruckt gewesen. Geschickt war sie, das musste man ihr lassen.
    »Ich gratuliere«, sagte ich so neutral wie möglich, obwohl meine Zunge ganz trocken wurde. Julias Anblick versetzte mich zurück in eine Zeit, in der mich Gerüchte umschwirrt hatten wie eine dunkle, undurchdringliche Mückenwolke. »Das freut mich für dich.«
    »Danke. Meine Güte, Annie, wie lang ist das jetzt her? Zehn Jahre? Das letzte Mal haben wir uns …« Julia zögerte, und ich half ihr nicht über die unangenehme Stille hinweg. Es war einfach zu schön, sie in ihrer Selbstsicherheit wanken zu sehen. Doch dann warf sie ihre Haare zurück und vollendete den Satz. »Das letzte Mal haben wir uns bei der Beerdigung deiner Mutter gesehen.«
    »Stimmt.«
    Eine Weile blickten wir beide stumm zur Bucht hinunter.
    »Sie fehlt mir«, sagte Julia.
    Ich sah abrupt zu ihr hinüber. In ihrer Stimme lag etwas Klagendes, eine stille Verzweiflung, in der noch mehr mitzuschwingen schien als die Trauer über den Tod meiner Mutter. Julia St. Clair hatte schon immer jene edle, klassische Schönheit besessen, die einen geradezu zwang, sie zu betrachten. Ich versuchte, meine frühere Freundin mit den Augen eines Fremden zu sehen. Ihre Gesichtszüge waren weich, weniger akzentuiert als bei ihrer Mutter, eher hübsch als extravagant. Sie sah aus wie eine Frau, die jede Nacht ihre acht Stunden Schönheitsschlaf bekommt, jeden Morgen von Flieder- und Caffè-Latte-Duft geweckt wird und sich in eine Kaschmirdecke hüllt, wenn sie erster Klasse nach Rom fliegt – was sie ziemlich oft tat. Ihre aristokratische Nase war lang und schmal, aber nicht zu lang oder zu schmal, und ihre makellos cremefarbene Haut war noch nie von einem Pickel entstellt worden. Mit achtundzwanzig hatte Julia nicht die Spur von Lachfalten um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher