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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hinrichtung warteten, und er beschloß, sich keine Blöße zu geben und vor allem kein Erbarmen zu zeigen.
    »Was macht's!« sagte er rauh. »Ob jetzt oder in ein paar Stunden? Erschossen wirst du doch! Viktor Janissowitsch und Jewgenij Nikititsch, bringt sie zum Kommandeur.« Sogar einen Lastwagen stellte er dafür zur Verfügung, selbst auf die Gefahr hin, von General Sinowjew deswegen beschimpft zu werden. Bernsteinzimmer, das war ein Zauberwort. Wenn es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Bernsteinzimmer und der Spionin gab, mußte Sinowjew sich das anhören und dann selbst entscheiden, was mit ihr geschah.
    »Wenn du versuchst, zu fliehen …« setzte er zu einer Warnung an, aber das Mädchen schüttelte nur den Kopf. Der Kopfriß hatte aufgehört zu bluten, eine rote Kruste zog sich über die Stirn.
    »Warum soll ich flüchten, Genosse?«
    »Nenn mich nicht Genosse, du Hure!« brüllte Wechajew auf. »Was ein Genosse ist, weißt du das überhaupt?! Eine Ehre ist es! Besudle nicht meine Ehre …«
    Noch eine kräftige Ohrfeige gab er ihr, bei der ihr Kopf so zur Seite flog, daß Solotwin befürchtete, er könne vom Hals gerissen werden. Mit diesem Schlag hatte Wechajew jedoch sein Gesicht gewahrt. Er drehte sich um, stapfte zu dem schräg liegenden Wagen mit der gebrochenen Achse und entschloß sich, nach Puschkin weiterzufahren. Nun waren es nur noch acht Lastwagen, die man nicht mehr brauchte. Aber das wußte ja Unterleutnant Wechajew nicht.
    Er ließ die Motoren anspringen, setzte sich in die Kabine des ersten Wagens und ließ durch einen langen Hupton die Kolonne anfahren.
    Was er auch nicht wußte, war die peinliche Tatsache, daß er den vorrückenden deutschen Truppen direkt in die Arme fuhr.
    Die Tür von Sinowjews Arbeitszimmer öffnete sich also, der Adjutant Kowaljow winkte, und das Mädchen kam über die Schwelle. Noch immer sah sie aus, wie Wechajew sie losgeschickt hatte. Sie hatte weder sich noch ihre Kleidung säubern können und starrte vor Dreck.
    Sinowjew rümpfte die Nase und deutete mit einer Handbewegung an, sie solle an der Tür stehenbleiben. Er meinte, einen Gestank nach Schimmel und Verwesung zu riechen, aber sicherlich war das Einbildung, was ihn beim Anblick dieser Person nicht weiter wunderte. Er musterte den deutschen Militärmantel, das Schwesternkleid, die fettigen Zottelhaare, das Gesicht mit den hohen Backenknochen, die Beine in den dicken Strümpfen und die derben Schuhe.
    Wie mag sie aussehen, wenn man sie gewaschen hat, dachte er. Befreit von dieser schrecklichen Kleidung, frisiert und vielleicht sogar etwas geschminkt? Vorstellen konnte man sich, daß unter dem Dreck eine schöne Frau hervorkam.
    »Was ist nun?« fragte er ziemlich abweisend. »Will man ein Geständnis ablegen? Du verstehst russisch?«
    »Meine Muttersprache ist es.« Das Mädchen sah sich nach Kowaljow um. »Kann ich den Mantel ausziehen? Warm ist es hier. Habe ihn nur getragen, weil es in der Höhle kalt war.«
    »Du bist eine Kollaborateurin, stimmt's?!« fragte Sinowjew eisig. »Wolltest hinüber zu den Faschisten!«
    »Überrollen lassen wollte ich mich. In zwei Tagen sind die Deutschen hier …«
    »Oh, sie ist gut informiert.« Der General hatte sich an seinen Adjutanten gewandt. »Überrollt wollte sie werden. Auch eine Art des Überlaufens.« Seine Augen suchten wieder das Gesicht des Mädchens. »Warum bist du hier? Hoffst du, daß ich dich begnadige? Ein Irrtum ist das, Verräterin.«
    »Ich heiße Jana Petrowna Rogowskaja –«
    »Angenommen oder wirklich?«
    »Wirklich. Mein Vater war Pjotr Borisowitsch Rogowskij.«
    Durch General Sinowjew fuhr ein kurzes, kaum wahrnehmbares Zucken. Er beugte sich über den Tisch und musterte sie erneut von oben bis unten. Kaum glaublich, dachte er. Eine unverschämte Lüge muß das sein.
    »Rogowskij? Der Experte für die Malerei des 19. Jahrhunderts in der Eremitage?«
    »Ja, mein Vater ist es gewesen.« Sie zog den deutschen Militärmantel aus, ließ ihn zu Boden fallen und stand nun in der deutschen Schwesterntracht vor Sinowjew. Befreit von dem schmutzigen, unförmigen Mantel sah sie ganz anders aus, zwar voller Flecken von Erde, aber sie hatte eine gute Figur mit schlanken Hüften und einer deutlich erkennbaren Wölbung unter dem Kleid und Schürzenlatz. »Vor drei Monaten ist er gestorben, an einem Herzanfall. So aufgeregt hatte ihn der Überfall der Deutschen auf unser Land.«
    General Sinowjew faltete die Hände über der Karte von Leningrad und
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