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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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hinüberschauen.
    »Karlchen!«, stieß Lina aus und nahm das weinende Kind auf die Arme.
    Carlotta wartete noch einen Moment, um gegen das aufsteigende Lachen anzukämpfen. Der Anblick, der sich ihr bot, war zu komisch: Das Bildnis des ehrfürchtigen Ahns Paul Joseph Singeknecht war von der Wand gefallen. Die Leinwand hatte Hedwigs breiten Schädel getroffen. Dabei war sie zerrissen und krönte nun als übergroße Halskrause die Schultern der Köchin. Mit hochrotem Kopf saß sie auf der Wäschetruhe, die unter dem vormaligen Platz des Porträts stand, und erholte sich nur langsam von dem Schreck.
    »Ich habe dem Kleinen doch nur das Bild von nahem zeigen wollen«, krächzte die Alte. »Da er die Händchen freudig ausstreckte, habe ich ihn näher hingehalten. Dabei muss er an die Leinwand gekommen sein. Im nächsten Moment ist das Bild von der Wand gekippt und auf uns gestürzt. Verzeiht, Gnädigste!«, japste sie schluchzend gen Tür.
    Magdalena stand im Türrahmen, umkränzt von dem alten Kepler und Christoph. Sobald den vieren klar war, dass nichts Schlimmes geschehen war, lachten sie los. Eifrig sprang Christoph Hedwig bei und befreite sie von dem zerschmetterten Kunstwerk.
    »Da hat Euch die Vergangenheit wohl ganz kräftig erwischt«, bemerkte er. »Schließlich solltet Ihr froh sein, dass Euch der ehrwürdige Ahn nicht erschlagen hat.«
    »Gar so grausam sind unsere Vorfahren nicht«, befand Carlotta. »Die wissen schon, wie wichtig es ist, die Nachfolgenden nicht zu erdrücken.«
    »Wollen wir hoffen, dass das so bleibt«, erwiderte der junge Medicus und fasste sie an der Hand.
    »Dafür werden wir sorgen.«
    »Ich sehe«, meldete sich Magdalena von der Tür her. »Der Ahn hat wohl vor Freude seinen Platz geräumt, um Jüngeren das Feld zu überlassen. So, wie es aussieht, ist die Familie kräftig dabei zu wachsen.«
    »Wir werden unser Möglichstes dazu tun, verehrte Frau Mutter.« Christoph vollführte einen Kratzfuß. Carlotta stieß ihn in die Seite.
    »Treib es nicht zu bunt«, wisperte sie ihm schmunzelnd zu. »Sonst überlege ich mir das mit dir noch einmal. Was habe ich schließlich davon, wenn du zwar doch nicht als Jahrmarktquacksalber unseren Lebensunterhalt verdienst, dich aber hier in der Stadt wie der kurfürstliche Hofnarr aufführst?«

Epilog
    Die Huldigung
    Königsberg/Preußen
    18. Oktober 1663
    C arlotta wunderte sich, wie viele Menschen in den Schlosshof passten. Vor ziemlich genau einem Jahr hatten die Altstädter und Löbenichter dem Kurfürsten an ebendieser Stelle die Ehrungen erwiesen. Schon damals hatte sie gemeint, im dichten Gedränge kaum mehr atmen zu können. Nun waren auch die Kneiphofer Bürger noch hinzugekommen. Es schob und drückte von allen Seiten. Ein jeder wollte in das ummauerte Geviert hinein und versuchte zudem, möglichst nah bei der eigens für Friedrich Wilhelm aufgebauten Bühne zu stehen.
    Ein buntgestreifter Baldachin überdachte die an der Ostseite des Hofes errichtete Empore. Längst hatten die zahlreichen Ehrengäste darauf Platz genommen. Darunter waren neben einigen polnischen Gesandten der Bischof von Ermland sowie der königliche Vizekanzler und der kurfürstliche Statthalter Fürst Radziwill. Der brandenburgisch-preußische Kurfürst würde die Empore jedoch erst nach der Festpredigt besteigen, um von dort aus die Huldigung der Stände entgegenzunehmen. Dazu war ein mit rotem Samt ausgeschlagener Thron bereitgestellt worden. Dem zur Seite hatten sich der Landhofmeister mit dem Kurhut, der Oberburggraf mit dem Kurschwert, der Kanzler mit dem Zepter sowie der Obermarschall mit dem Marschallstab postiert.
    Trotz aller Vorbehalte kam Carlotta nicht umhin, die Versammlung auf dem Podest mit einem Anflug von Ehrfurcht zu betrachten. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie nahm ein kleines Seidentuch und tupfte sich damit übers Gesicht.
    »Geht es noch, Liebste?«, erkundigte sich Christoph besorgt. »Wahrscheinlich war es keine so gute Idee, hierherzukommen. Angesichts deines Zustands hätte dir ein jeder verziehen, den geforderten Eid nicht ausgerechnet heute persönlich vor Seiner Durchlaucht abzulegen. Als kurfürstlicher Leibarzt hätte mein Vater dir eine andere Gelegenheit verschaffen können.«
    Liebevoll strich er mit der Hand über den deutlich vorgewölbten Leib. Es war nur noch eine Frage von wenigen Wochen, bis sie mit ihrem ersten Kind niederkommen würde.
    »Mach dir keine Gedanken, Liebster.« Sie lächelte ihren Gemahl an. »Die Enge hat den
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