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Das Aschenkreuz

Das Aschenkreuz

Titel: Das Aschenkreuz
Autoren: Astrid Fritz
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Stutzer. Unter dem mi-parti gefärbten Mantel mit Samtverzierung und weiten, offenen Zattelärmeln lugten übertrieben lange Schnabelschuhe hervor, auf dem rotbraunen, langen Haar saß ein aus puterroten Stoffwülsten drapierter Hut. Serafina verzog das Gesicht über diesen unpassenden, ganz und gar lächerlichen Aufzug. Solche Mannsbilder hatte sie noch nie leiden können.
    «Was für eine Schmach!» Der Bursche eilte auf Nidank zu, der neben Meister Henslin in einem der gepolsterten Lehnstühle eingedöst war, die Beine weit von sich gestreckt. «Wie hat er uns das nur antun können?»
    «Ruhig Blut, Diebold.»
    Der Ratsherr erhob sich umständlich und legte ihm fürsorglich den Arm um die Schulter. «Es tut mir aufrichtig leid für dich und deine Familie. Nun geh zu deiner Mutter, sie braucht deinen Zuspruch, bis euer Vater zurück ist.»
    Gehorsam schritt Diebold, offenbar der ältere Bruder des Toten, in großem Abstand um die Bahre herum und sank vor seiner Mutter auf die Knie. Serafina fiel auf, dass er Hannes kaum eines Blickes gewürdigt hatte.
    «Mutter – liebste Mutter.» Er nahm ihre Hände und streichelte sie. Doch die Pfefferkornin zog sie zurück.
    «Leg deinen Hut ab, wie es sich ziemt vor einem Toten», presste sie hervor.
    «Aber … Er ist ein Sünder ohne Reue, er hat keine Ehrerbietung verdient. Siehst du denn nicht, was er dir – was er uns allen angetan hat?»
    «Schweig und steh auf, Diebold!»
    Dann begann sie still zu weinen, während Diebold sich mit zerknirschtem Blick aufrichtete und sein Haupt entblößte.
    Ganz offensichtlich hing er nicht allzu sehr an seinem jüngeren Bruder, dafür umso mehr an seiner Mutter. Serafina hatte in ihrem bisherigen Leben ausreichend Gelegenheit gehabt, das Wesen und auch die Abgründe der Menschen zu erkunden. Hier nun glaubte sie zu erkennen, dass Walburga Wagnerin, genannt die Pfefferkornin, ihren jüngeren Sohn weitaus mehr liebte als Diebold und dass dieser darunter litt. Jetzt fiel Serafina auch die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Hannes und seiner Mutter auf. Beider Gesicht war von derselben, fast makellosen Schönheit, beide hatten sie diese dunklen, mandelförmigen Augen. Auch wenn die Hausherrin bereits ein paar Jahre älter war als Serafina, so war sie doch noch immer fast schön zu nennen.
    Sie setzte sich zu der armen Frau auf die Fensterbank und strich ihr über die Schulter.
    «Habt Ihr schon Fürbitter für die nächtliche Totenwache bestellt?», fragte sie sie. «Ich könnte eine Schwester von uns oder vom Regelhaus Zum Lämmlein vorbeischicken.»
    «Ich wäre froh, wenn
Ihr
das tun könntet.»
    «Wenn Ihr es wünscht, sehr gerne.»
    «Danke, Schwester Serafina.»
    Serafina warf einen Blick auf den Bruder. Diebold hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und stierte vor sich hin. Plötzlich spürte sie die Müdigkeit in allen Knochen.
    «Nun, dann würde ich jetzt nach Hause gehen und nach dem Vesperläuten wiederkommen.»
    «Nein, bitte – bleibt an meiner Seite, bis mein Ehewirt zurück ist. Ihr könnt auch mit uns essen, die Köchin richtet gerade eine warme Morgensuppe für uns alle.» Als Serafina nickte, fuhr Walburga Wagnerin fort: «Betet Ihr jetzt mit mir?»
    «Ja. Habt Ihr ein Psalter im Haus?»
    Die Magd holte ein ledergebundenes Buch aus der Ziertruhe. Gemeinsam sprachen sie mit den beiden Töchtern, von denen die eine noch ein Kind war, die sieben Bußpsalmen. Gerade als sie beim «De Profundis» angelangt waren, traf der Gerichtsschreiber ein. In kühler Höflichkeit sprach er sein Mitgefühl aus, rückte einen Stuhl an den schweren Eichenholztisch und packte umständlich seine Schreibutensilien aus. Schließlich blickte er erwartungsvoll zu Ratsherr Nidank.
    Der räusperte sich vernehmlich und strich sich über das gepflegte halblange Haar. «So schreibt denn also: Im Jahre nach der Fleischwerdung des Herrn 1415 , den Freitag vor Sankt Veit, wurde tot aufgefunden Johannes Pfefferkorn, Sohn des Kaufherrn Magnus Pfefferkorn, zur Scheuer daselbst in der Abtsgasse zu Freiburg im Breisgau, gerichtet von eigener Hand und im Frevel der Todsünde, erstickt am Strang. Als Zeugen seien genannt: Sigmund Nidank, ein Ratsherr, Meister Henslin, ein geschworener Wundarzt, der Sackpfeiffer Gallus, ein Gerichtsdiener. – Könnt Ihr dies so unterzeichnen, Meister Henslin?»
    Der Wundarzt nickte, und sofort zerriss ein durchdringender Schrei die kurze Stille.
    «Nein!» Walburga Wagnerin sank vor dem Leichnam in die Knie. «Nein!
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