Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
Blicke trafen sich. Und er wusste es. Er spürte die Veränderung in ihr, und die subtile Machtverschiebung. Eve konnte es an seinen Augen sehen, in denen für einen kurzen Moment Furcht aufblitzte, bevor sie von Arroganz verdrängt wurde. Sie lächelte.
Das brachte ihn genug aus der Ruhe, dass er den Blick auf sie gerichtet hielt, während er die Hand nach dem Talisman ausstreckte, der zwischen ihnen lag. Sie ließ zu, dass seine Fingerspitzen ihn berührten, bevor sie ihn allein mit ihrem Willen wegzog. Seine Augen wurden groß, als die Sanduhr in ihrer Hand landete.
»Er ist mein«, sagte sie und setzte wieder ihren Willen ein, um sich die Kette um den Hals zu legen.
»Natürlich, Zauberin. Habe ich nicht die ganze Zeit gesagt, dass du der Schlüssel dazu bist, die Macht des Talismans freizusetzen? Natürlich gehört er dir. Ich wollte dir nur helfen. Dich anleiten, nachdem du selbst zugegeben hast, dass es dir an Erfahrung in der Nutzung deiner Gabe mangelt.«
»Und das hast du«, erklärte sie ihm. »Und besonders geholfen hat mir das, was du über Portale gesagt hast.«
Er versuchte, seine Unsicherheit dadurch zu überdecken, dass er wieder die Kontrolle übernahm. »Gut, gut. Sollen wir jetzt weitermachen?«
Er griff nach dem Dolch. Eve warf einen kurzen Blick darauf, und das Messer flog so schnell davon, dass es gegen die Wand prallte und zu Boden fiel.
»Nicht dieses Mal«, erklärte sie ihm mit ernstem Gesicht. »Du hattest den letzten Tropfen T’airna-Blut, den du je bekommen wirst.«
Sie wusste bis ins kleinste Detail, was sie jetzt tun würde. Sie hatte es geplant, während sie darauf gewartet hatte, dass er aufwachte. Sie hatte sich jeden Moment vorgestellt, und als sie den Anhänger umgelegt hatte, war sie sich ihres Plans auf intuitive Weise sicher. Sie wusste Dinge, die sie nicht wissen konnte, verstand Dinge, die sie noch nie verstanden hatte. Es war nicht Pavanes Fluch gewesen, der Hazard am Leben gehalten hatte, es war die Magie der T’airnas. Das war die Magie, auf die sie Zugriff hatte, wann immer sie mit ihm zusammen war. Sie hatte noch nie einer solchen Herausforderung gegenübergestanden, aber die Frauen, die vor ihr gelebt hatten, hatten es getan, und ihre Weisheit gehörte nun auch Eve. So war es immer gewesen. Verborgen in ihrem Blut hatte die Magie so leise zu ihr gesprochen, dass sie es unter ihrer Furcht nicht hatte hören können.
Jetzt, als sie die Hände ausstreckte, hörte sie sie klar und deutlich. Sie sah, wie er versuchte, sich ihrem Willen zu widersetzen, und wie er versagte. Sah, wie er entsetzt auf seine eigenen Hände starrte, als sie ihm nicht mehr gehorchten und stattdessen ihrem stillen Befehl folgten. Sie nahm seine Hände in ihre und packte sie fest, und sofort schienen die Wände sich um sie zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, bis alle Details in einem Farbwirbel verschwammen. Es war ein seltsames Gefühl. Als säße man in einem angehaltenen Zug, während ein Auto vorbeifuhr, und wäre sich für einen Moment nicht sicher, ob das Auto sich bewegte oder man selbst.
Um sie herum wurde es dunkel und kalt. Ein brausendes Geräusch erhob sich, das heller wurde, wie der Wind, der durch einen Canyon pfiff und sie mit sich trug. Eve konnte es nicht erklären, aber es spielte auch keine Rolle. Sie musste es nicht erklären, um es geschehen zu lassen.
Langsam ließ der Wirbel nach. Wo Stein und abgestandene Luft gewesen waren, sah sie jetzt den Himmel und knospende Büsche in einer kühlen, klaren Nacht. Sie waren nicht länger in dem Mausoleum, sondern in Grans Rosengarten in der Sycamore Street. Auf dem Friedhof hatte es keinen Mond gegeben, aber hier hing er über ihnen, voll und hell. Sie sah sich um und beschwor mit einem Nicken einen Kreis aus Kerzen. Mit dem nächsten Nicken entzündete sie die Dochte, und dann sah sie Hazard und Gran und Rory schon auf sie warten.
Gut. Sie würde sie brauchen für das, was sie vorhatte.
Zweiundzwanzig
S oweit hatte sie es geplant, während Pavane schlief. Der Rest war ihr später klargeworden, als sie den Anhänger zu sich gerufen und umgelegt hatte. In diesem Moment hatte sie gewusst, was sie tun musste und dass es hier passieren musste, mit der Erde unter ihren Füßen, die voller Erinnerung steckte, und dem Mond in diesem samtigen Stück Himmel über sich. Dort, an der Stelle, wo sie zum ersten Mal ihre Macht gespürt hatte, in derselben Nacht, in der sie sie verloren hatte … und sich selbst verloren
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