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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne
Autoren: Michael Marrak
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sich stattdessen. Seine Stimme klang erwartungsvoll.
    »Ja«, antwortete Mira kleinlaut und spürte einen Knoten im Magen.
    »Allein?«
    »Ja …«
    »Und? Hattest du Erfolg?«
    »Natürlich.« Sie musste schlucken.
    »Gut. Das ist gut.«
    Gut? Mira verstand die Welt nicht mehr. »Aber …«
    »Heute ist es gut«, unterbrach sie ihr Vater. »Wenn du es je wieder allein tust, sperre ich dich für den Rest des Jahres in deinem Zimmer ein. Hast du mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Versprich es mir, dass du gehorchst!«
    »Das ist nicht fair …« Es gab für Mira kaum etwas Schlimmeres als ein erzwungenes Versprechen.
    »Na?«, drängte ihr Vater.
    Mira schwieg eine Weile. »Na gut, versprochen«, murrte sie schließlich. »Wohin gehen wir?«
    »Dorthin, wohin alle gegangen sind – zum Dorfplatz.«
    »Was ist denn überhaupt los?«, wiederholte sie ihre Frage.
    »Du hast Besuch.«
    »Besuch!?« Mira glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Bei uns? Wir hatten doch noch nie Besuch.«
    »Hin und wieder schon«, sagte ihr Vater leise, während sie sich dem überfüllten Marktplatz näherten. »Du kannst dich nur nicht mehr daran erinnern, weil du zu jung warst …«
    »Was denn für Besuch?«, wollte Mira wissen. Dann erst begriff sie, was ihr Vater gesagt hatte, und wäre fast gestolpert. »Ich?«, japste sie. »Ich habe Besuch? Aber – von wem denn? Woher? Wieso?«
    »Jemand aus dem Carinea-Institut ist gekommen.« Obwohl ihr Vater leise sprach, glaubte Mira, einen Anflug von Besorgnis aus seiner Stimme herauszuhören. »Der Sohn eines alten Bekannten.«
    »Du hast Freunde im Institut?«
    »Es ist ein Kollege«, erwiderte ihr Vater. »Wir haben bis zu den Sonnenstürmen gemeinsam in den Plantagen gearbeitet.«
    »War er damals auch krank?«, fragte sie.
    Ihr Vater hielt unmerklich im Gehen inne. »Wie kommst du denn darauf?«
    Mira zögerte mit ihrer Antwort. »Bausch hat mir davon erzählt.«
    »Bausch …!« Ihr Vater sprach den Namen mit hörbarer Verachtung aus. »Ich werde mich mit dem alten Säufer mal unterhalten müssen, glaube ich.« Er schob sich im Laufen eine Handvoll Nüsse in den Mund und schwieg, bis sie den Dorfplatz erreicht hatten.

 
2  Der Besucher
     
     
    Der Fremde, der sich Mira als Benoît vorstellte, hatte wunderschöne Hände und ein helles, ebenmäßiges Gesicht. Nie zuvor hatte das Mädchen einen Menschen mit so heller Haut gesehen. Kein einziger Hautfleck oder gar eine Narbe entstellte sein Gesicht oder seine Hände. Benoîts Augen waren klar und grün und sein Haar so hell und so kurz, dass Mira erst beim zweiten Hinsehen erkannte, dass er überhaupt welches hatte.
    Nach einer zurückhaltenden Begrüßung seitens Benoît löste sich die neugierige Menschenmenge kurz nach Sonnenuntergang zügig auf, und auch Miras Vater beeilte sich, mit ihr und dem Besucher zu sich nach Hause zu gelangen. Benoît schaute dabei hin und wieder aufmerksam in den wolkenlosen Himmel, während ihr Vater eher angespannt das Dämmerlicht studierte. Mira selbst hatte zwar von den Ambodrusen gehört, aber noch nie eine zu Gesicht bekommen. Ihr Vater predigte fast täglich, dass sie gefährlich seien und Menschen, die ihnen begegneten, für immer verschwinden würden. Aus diesem Grund dürfe Mira niemals nach Sonnenuntergang nach draußen gehen. Man könne nicht hören, wenn eine Ambodruse über einem schwebe, hieß es. Und die Menschen, die sie fing (und fraß, wie Mira von Bausch erfahren hatte), verschwänden lautlos.
    Bausch hatte erzählt, dass Fußspuren, die man von den Vermissten gefunden hatte, abrupt aufgehört hätten, so, als wären die Menschen von etwas in die Luft gerissen worden. Wenn Bausch genug trank, wurde er gewöhnlich für eine kurze Zeit sehr redselig. Zumindest so lange, bis er zu viel getrunken hatte und wieder in sein übliches Schweigen verfiel, welches ihm ebenso anhaftete, wenn er zu wenig getrunken hatte. Diese kurze Phase der Gesprächigkeit war es, die Mira suchte, wenn sie bei ihm war.
     
    Staunend drehte Benoît den mechanischen Skorpion in seinen Fingern. Ebenso fasziniert darüber, wie der Fremde aus dem Institut Miras Tagesbeute studierte, starrte Mira auf seine Hände und in sein Gesicht. Benoît mochte etwa fünf Jahre älter sein als sie selbst: neunzehn, allerhöchstens zwanzig. Möglicherweise war er aber auch weitaus älter und sah nur so jung aus, weil seine Haut so hell und makellos war. Hin und wieder warf Mira ihrem Vater einen unschlüssigen Blick zu, nachdem Benoît
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