Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Aber er stand trotzdem aufrecht und hatte die Hände emporgehoben, um sein Publikum zu begrüßen.
    Der Raparee hatte haltgemacht. Er stand einen oder zwei Meter von Swann entfernt, die Glieder vollkommen reglos, als hätte dieser erstaunliche Trick ihn hypnotisiert.
    Harry sah eine weitere Gestalt die Treppe heraufkommen. Es war Butterfield. Sein Stumpf war behelfsmäßig abgebunden, ein Dämon stützte seinen asymmetrischen Körper.
    »Lösch das Feuer«, verlangte der Anwalt vom Raparee. »So schwierig ist das nicht.«
    Die Kreatur bewegte sich nicht.
    » Los doch « , sagte Butterfield. »Es ist nur einer seiner Tricks.
    Er ist tot, verdammt. Er wirkt nur Illusionen.«
    »Nein«, sagte Harry.
    Butterfield sah ihn an. Der Anwalt war immer bläßlich gewesen. Jetzt war er so bleich, daß sicherlich seine gesamte Existenz auf dem Spiel stand. »Was wissen Sie?« sagte er.
    »Das sind keine Illusionen«, sagte er. »Das ist Magie.«
    Swann schien das Wort gehört zu haben. Er machte blinzelnd die Augen auf, griff langsam in die Tasche und holte mit einer schwungvollen Geste ein Taschentuch hervor. Es brannte ebenfalls. Aber es wurde nicht von den Flammen verzehrt. Als er es schüttelte, flatterten winzige leuchtende Vögel auf summenden Schwingen aus den Falten hervor. Der Raparee verfolgte diesen Taschenspielertrick gebannt. Sein Blick folgte den imaginären Vögeln, die emporflogen und sich verteilten. In diesem Augenblick trat der Zauberer nach vorne und umarmte die Maschine.
    Swanns Feuer erfaßte den Raparee sofort, die Flammen leckten über seine rudernden Gliedmaßen. Er kämpfte zwar, um sich aus dem Griff des Magiers zu befreien, aber Swann ließ sich nicht so einfach abschütteln. Er umarmte die Kreatur inniger als einen lange verlorenen Bruder und ließ erst los, als sie in der Hitze zu zerfließen anfing. Nachdem der Verfall angefangen hatte, schien es, als würde der Raparee innerhalb von Sekunden verschlungen werden, aber man konnte nicht sicher sein. Der Anblick dehnte sich – wie bei den besten Darbietungen. Dauerte er eine Minute? Zwei Minuten? Fünf?
    Harry würde es nie erfahren. Und er wollte es auch nicht analysieren. Ungläubigkeit war für Feiglinge; und Zweifel eine Angewohnheit, die das Rückgrat verkrüppelte. Er begnügte sich damit, zuzusehen – er wußte nicht, ob Swann lebte oder starb, ob die Vögel, das Feuer, der Flur oder er selbst – Harry D’Amour – echt oder Illusionen waren.
    Schließlich war der Raparee nicht mehr. Harry erhob sich.
    Swann stand ebenfalls, aber seine Abschiedsvorstellung war eindeutig vorbei.
    Die Niederlage des Raparee hatte der Horde den Mut genommen. Sie waren geflohen, nur Butterfield stand noch oben an der Treppe.
    »Dies wird weder vergessen noch verziehen werden«, sagte er zu Harry. »Für Sie wird es keinen Frieden mehr geben. Niemals. Ich bin Ihr Feind.«
    »Das hoffe ich«, sagte Harry.
    Er sah wieder zu Swann und überließ Butterfield seinem Rückzug. Der Magier hatte sich hingelegt. Er hatte die Augen geschlossen und die Hände wieder über der Brust verschränkt.
    Es war, als hätte er sich nie bewegt. Aber jetzt zeigte das Feuer seine wahre Natur. Swanns Haut schlug Blasen, die Kleidung schälte sich in Ruß und Rauch ab. Es dauerte ziemlich lange, aber schließlich hatte das Feuer den Mann zu Asche verbrannt.
    Inzwischen war die Dämmerung längst vorbei, aber heute war Sonntag, und Harry wußte, es würden keine Besucher kommen und ihn stören. Er hatte genügend Zeit, die Überreste einzusammeln, die Knochenbruchstücke und die Asche in einen Beutel zu stecken. Dann würde er hinausgehen, eine Brücke oder ein Dock suchen, und Swann in den Fluß schütten.
    Nachdem das Feuer sein Werk vollbracht hatte, war kaum etwas von dem Magier übrig, nichts, das auch nur entfernt einem Menschen ähnelte.
    Dinge kamen und gingen, das war auch eine Art Magie. Und dazwischen? Beschäftigungen und Illusionen; Schrecken, Verkleidungen. Ab und zu Freude. Daß es einen Platz für die Freude gab, ah!
    Auch das war Magie.

    Wyburd sah das Buch an, und das Buch ihn. Alles, was man ihm je über den Jungen erzählt hatte, stimmte.
    »Wie sind Sie hereingekommen?« wollte McNeal wissen. In seiner Stimme lag weder Zorn noch Angst, nur gelinde Neugier.
    »Über die Mauer«, sagte Wyburd zu ihm.
    Das Buch nickte.
    »Wollten Sie herausfinden, ob die Gerüchte stimmen?«
    »So ähnlich.«
    Unter Kennern des Bizarren erzählte man sich McNeals Geschichte ehrfürchtig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher