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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3
Autoren: Clive Barker
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Freudengeheul aus. In dem eng begrenzten Raum des Treppenabsatzes war es allgegenwärtig.
    Sie konnte ihm nicht davonlaufen, sie konnte es nicht bekämp fen. Mit unverschämter Leichtigkeit ließen sich seine Hände auf Amelia nieder und zerrten an ihr.
    Die Kleine schrie auf, als es sie nahm, vier Furchen harkten ihre Fingernägel ins Gesicht ihrer Mutter, als sie deren Arme verließ.
    Gwen strauchelte nach hinten, schwindlig von dem unfaßbaren Anblick vor ihr, und verlor auf der obersten Treppenstufe das Gleichgewicht. Während sie umfiel, sah sie, wie Amelias tränennasses Gesicht, puppensteif, zwischen jenen beiden Zahnreihen gefressen wurde. Dann traf ihr Kopf auf das Geländer auf, und ihr Genick brach. Die letzten sechs Stufen purzelte sie als Leiche hinunter.
    Das Regenwasser war bis zum frühen Abend zum Teil versikkert, aber der künstliche Teich am Tiefpunkt der Senke überflutete noch immer, an die fünfzehn Zentimeter tief, die Straße. Heiter spiegelte er den Himmel wider. Sehr hübsch, aber unpassend. Ruhig erinnerte Reverend Coot Declan Ewan daran, die verstopften Gullys dem Grafschaftsrat zu melden. Es war das dritte Mal, daß er ihn darum ersuchte, und Declan wurde rot bei der Bitte.
    »Tut mir leid, ich werd’…«
    »Schon gut. Nicht so tragisch, Declan. Aber wir müssen sie wirklich reinigen lassen.«
    Ein geistesabwesender Blick. Ein Herzschlag. Ein Gedanke.
    »Natürlich werden sie jeden Herbstanfang wieder verstopft.«
    Coot deutete mit der Hand einen Kreis an und wollte schon hinzufügen, daß es wirklich nicht allzuviel Unterschied machte, wann oder ob der Rat die Gullys reinigte, aber dann verflüchtigte sich der Gedanke wieder. Es gab dringlichere Fragen. Zum einen die Sonntagspredigt. Zum ändern, weshalb er heute abend mit dem Predigtschreiben so schlecht zu Rande kam. Etwas Beklemmendes lag heute in der Luft, das jedes beruhigende Wort, das er zu Papier bringen wollte, beim Niederschreiben erstarren ließ. Coot ging zum Fenster, dann wieder zu Declan, und kratzte sich an den Handflächen. Sie juckten, vielleicht ein neuerlicher Ekzembefall. Wenn er es nur aussprechen könnte; ein paar Worte finden, um seinem Kummer Ausdruck zu verleihen. In seinen ganzen fünfundvierzig Jahren hatte er sich noch nie so kommunikationsunfähig gefühlt. Und noch nie war es in diesen Jahren so lebenswichtig gewesen, daß er redete.
    »Kann ich jetzt gehen?« fragte Declan.
    Coot schüttelte den Kopf. »Noch einen Augenblick. Wenn’s recht ist.«
    Er wandte sich dem Küster zu. Declan Ewan war neunundzwanzig, hatte jedoch das Gesicht eines weitaus älteren Mannes. Fade, blasse Gesichtszüge; vorzeitiger Haarausfall.
    Was wird dieses Eiergesicht mit meiner Enthüllung anfangen?
    dachte Coot. Wahrscheinlich wird er lachen. Klar, darum kann ich nicht die rechten Worte finden: weil ich nicht will. Furcht’
    mich davor, für blöd gehalten zu werden. So sieht’s aus mit mir, dem Mann der Geistlichkeit, dem Adepten der Mysterien Christi. Das erste Mal in gut vierzig Jahren bekomm’ ich wirklich etwas zu sehen, eine Vision womöglich, und hab’
    Angst davor, ausgelacht zu werden. Blödian, Coot, Blödian, blöder.
    Er nahm die Brille ab. Declans leere Gesichtszüge wurden zu einem Schemen. Zumindest hätte er jetzt nicht mehr das affige Grinsen vor Augen. »Declan, heute morgen hab’ ich was erlebt, das kann ich nur mit … mit … Heimsuchung umschreiben.«
    Declan sagte nichts, auch der Schemen bewegte sich nicht.
    »Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll … unser Wortschatz ist armselig, sobald es um diese Art Dinge geht…
    aber offen gestanden hatte ich noch nie ein so unmittelbares, ein so unzweideutiges Erlebnis der … Manifestation …«
    Coot hielt inne. Meinte er: Gottes?
    »Gottes«, sagte er, ohne sich sicher zu sein, daß er es auch meinte.
    Einen Moment lang erwiderte Declan nichts. Coot riskierte es, seine Brille an ihren alten Platz zu befördern. Das Ei war nicht geplatzt. »Können Sie sagen, wie es war?« fragte Declan. Sein inneres Gleichgewicht war absolut unbeschädigt.
    Coot schüttelte den Kopf. Den ganzen Tag über hatte er versucht, die passenden Worte zu finden, aber die Formulierungen kamen ihm alle so abgegriffen vor.
    »Wie war es?« insistierte Declan.
    Weshalb begreift er nicht, daß es dafür keine Worte gibt? Ich muß es versuchen, dachte Coot, ich muß.
    »Ich war am Altar nach der Morgenandacht …«, begann er,
    »und ich spürte, wie etwas durch mich
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