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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
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wurde. Davon konnte ein Mann sein ganzes Leben lang zehren. Es war ein goldner Vorgeschmack auf den Himmel.
    Soll Amerika mit seinen unbedarften Freunden selig werden, mit seinen Zeichentrickmäusen, seinen Zuckergußschlössern, seinen Kulten und Technologien - er konnte darauf verzichten. Das größte Wunder der Welt war hier, im Bergland verborgen.
    Ach, diese sagenhaften Tage.
    Auf dem Hauptplatz von Podujevo war die Szene nicht weniger lebendig und nicht weniger mitreißend. Vielleicht lag der diesjährigen Feier eine gedämpfte Traurigkeit zugrunde, aber das war verständlich. Nita Obrenovic, Podujevos geliebte und hochgeschätzte Organisatorin, war nicht mehr am Leben. Der vorangegangene Winter hatte sie im Alter von vierundneunzig hinweggerafft, wodurch die Stadt ihrer rigorosen Ansichten und noch rigoroseren Größenverhältnisse beraubt worden war. Sechzig Jahre lang hatte Nita mit den Bürgern von Podujevo zusammengearbeitet, immer schon den nächsten Wettstreit vorausgeplant und an den Baukonstruktionen Verbesserungen vorgenommen; ihre ganze Energie hatte sie darauf verwendet, die nächste Kreation noch anspruchsvoller und noch lebensnäher zu gestalten als die letzte.
    Jetzt war sie tot, und man vermißte sie schmerzlich. Zwar griffen in den Straßen auch ohne sie keine Auflösungserscheinungen um sich, dazu waren die Leute viel zu gut geschult, aber sie kamen bereits mit dem Zeitplan in Verzug, und dabei war es erst fünf vor halb acht. Nitas Tochter hatte anstelle ihrer Mutter die Leitung übernommen, aber ihr fehlte Nitas Autorität, um die Leute in Schwung zu bringen. Sie war, mit einem Wort, zu weich für diese Aufgabe. Die erforderte einen Anführer, der die Bürger mit Schmeicheln, Zwang und Begeisterung ihren Platz einnehmen ließ, der zum Teil Prophet und zum Teil Zirkusdirektor war. Womöglich würde es Nita Obrenovics Tochter nach zwei oder drei Jahrzehnten und mit ein paar Wettstreiten mehr in der Tasche schaffen. Aber für den heutigen Tag befand sich Podujevo im Rückstand; man war dabei, über Sicherheitskontrollen hinwegzusehen; nervöse Blicke verdrängten die Zuversicht früherer Jahre.
    Nichtsdestoweniger rückte sechs Minuten vor acht das erste Körperglied von Podujevo zur Stadt hinaus Richtung Sammelpunkt, um dort auf seinen Genossen zu warten.
    Ungefähr zur selben Zeit wurden in Popolac bereits die Flanken miteinander verzurrt, und bewaffnete Kontingente erwarteten auf dem Hauptplatz ihre Befehle.
    Mick erwachte pünktlich um sieben, obwohl es in ihrem einfach möblierten Zimmer im Hotel Beograd keinen Wecker gab. Er lag in seinem Bett und lauschte Judds regelmäßigen Atemzügen aus dem Bett an der gegenüberliegenden Wand.
    Ein trübes Morgenlicht flirrte durch die dünnen Vorhänge und ermunterte nicht gerade zu einem frühen Aufbruch. Nachdem er ein paar Minuten die von Sprüngen durchzogene Decke und etwas länger das grob geschnitzte Kruzifix an der gegenüberliegenden Wand angestarrt hatte, stand Mick auf und ging zum Fenster. Es war, wie vermutet, ein trüber Tag. Der Himmel war bedeckt, und die Dächer von Novi Pazar lagen grau und verwaschen in dem glanzlosen Morgenlicht. Aber über die Dächer hinaus, weiter östlich, konnte er die Hügel sehen. Dort schien Sonne. Er konnte sehen, wie Lichtbündel das Blaugrün des Waldes streiften und zu einem Besuch der Hänge einluden.
    Heute würden sie womöglich Richtung Süden nah Kosovska Mitrovica reisen. Gab’s dort nicht einen Markt und ein Museum? Und sie könnten das Ibar-Tal runterfahren, der Straße neben dem Fluß folgen, wo auf beiden Seiten die Berge wild und leuchtend in die Höhe stiegen. Die Berge, ja: Heute würden sie sich die Berge ansehen, sein Entschluß stand fest.
    Es war viertel neun.
    Gegen neun waren die Körperrümpfe von Popolac und Podujevo im großen und ganzen montiert. In ihren zugeteilten Bezirken warteten die Gliedmaßen beider Städte einsatzbereit darauf, sich ihren Torsi in spe anzuschließen.
    Vaslav Jelovsek beschirmte mit behandschuhten Händen seine Augen und inspizierte den Himmel. Die Wolkenbasis war ganz zweifellos in der letzten Stunde gestiegen, und gegen Westen zeigten sich Risse in der Wolkendecke; gelegentlich blinzelte sogar flüchtig die Sonne durch. Vielleicht würde es nicht gerade ein idealer Tag für den Wettkampf werden, ein angemessener jedoch mit Sicherheit.
    Mick und Judd frühstückten spät, Sinkenmittai — was man halbwegs als Schinken mit Ei gelten lassen konnte - und
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