Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Gesetz, die aus seiner Verfolgung ein solches Spektakel machten, dienten seinen Meistern um keinen Deut weniger als er; fast wünschte er sich, von irgendeinem windigen Cop gefangen und im Triumph vor den Richter geschleppt zu werden, nur um den Ausdruck auf ihren Gesichtern mit ansehen zu können, wenn das Machtwort aus der Finsternis heraufkam, daß Mahogany ein Schützling sei, erhaben über jedes geschriebene Gesetz. Es war jetzt halb elf vorbei. So allmählich trudelten die Theaterbesucher ein, aber noch war nichts Annehmbares unter ihnen. Er wollte sowieso lieber den Hauptansturm vorbeilassen und dann einfach einem oder zwei erlesenen Stücken bis ans Ende der Strecke folgen. Geduldig wartete er den rechten Augenblick ab wie jeder wohlberatene Jäger.
    Kaufman war gegen elf, eine Stunde später, als er eigentlich hatte Schluß machen wollen, immer noch nicht mit der Arbeit fertig. Überdruß und frustrierende Langeweile machten die Aufgabe nachgerade schwieriger, und die Blätter voller Zahlen begannen vor ihm zu verschwimmen. Um zehn nach elf warf er seinen Füller hin. Mit den Handballen rieb er sich die brennenden Augen, bis in seinem Kopf die Farben tanzten.
    »Scheiß drauf«, sagte er.
    In Gesellschaft gebrauchte er nie solche Ausdrücke. Aber hin und wieder zu sich selber »Scheiß drauf« zu sagen, das hob die Stimmung ungemein. Er bahnte sich den Weg zum Flur, den noch feuchten Mantel überm Arm, und steuerte den Aufzug an. Seine Glieder waren schwer, wie betäubt, und die Augen konnte er kaum offenhalten.
    Es war kälter draußen, als er angenommen hatte. Die Luft rüttelte ihn ein wenig auf aus seiner dumpfen Benommenheit.
    Er ging Richtung U-Bahn an der 34. Straße. Einen Expreß nach Far Rockaway erwischen. In einer Stunde daheim sein.
    Weder Kaufman noch Mahogany wußten es, aber an der Ecke 96. Straße und Broadway hatte die Polizei jemanden verhaftet, den sie für den U-Bahn-Küler hielten, war er ihnen doch in einer Außenbezirkslinie in die Falle gegangen. Ein kleiner Mann europäischer Abstammung hatte, Hammer und Säge in Händen, eine junge Frau im zweiten Waggon in die Enge getrieben und gedroht, sie im Namen Jehovas in zwei Teile zu zerlegen.
    Es zwar zweifelhaft, ob er imstande gewesen wäre, seine Drohung wahr zu machen. So wie die Sache lief, kam er gar nicht dazu. Während die übrigen Passagiere (einschließlich zwei Marineinfanteristen) zusahen, verpaßte das potentielle Opfer dem Mann einen Fußtritt in die Hoden. Er ließ den Hammer fallen. Sie hob ihn auf und zertrümmerte ihm den Unterkiefer und das rechte Jochbein, bevor noch die Marineinfanteristen einschreiten konnten.
    Als der Zug an der 96. hielt, war dort die Polizei schon auf die Verhaftung des U-Bahn-Schlächters vorbereitet. Sie stürmten in wilder Horde den Waggon, schrien, wie von Dämonen besessen, und machten sich vor Angst fast in die Hosen. Der Schlächter lag mit demoliertem Gesicht in einer Ecke des Waggons. Triumphierend karrten sie ihn davon. Die Frau nahm nach der Vernehmung die Marineinfanteristen mit nach Hause.
    Der Vorfall sollte sich als zweckdienliche Ablenkung heraus-stellen, obwohl Mahogany zu diesem Zeitpunkt noch nichts von ihm wissen konnte. Es kostete die Polizei den Großteil der Nacht, die Identität des Festgenommenen zu ermitteln, hauptsächlich deswegen, weil er mit seinem zerschmetterten Unterkiefer nur ein nuscheliges Gesabber zustandebringen konnte.
    Erst morgens um halb vier erkannte ein gewisser Captain Davis bei seinem Dienstantritt in dem Mann einen im Ruhestand lebenden Blumenhändler aus der Bronx namens Hank Vasa-rely. Hank wurde immer wieder verhaftet, der Vorwurf lautete jedesmal: gemeingefährliches Verhalten und exhibitionistische Handlungen, begangen im Namen Jehovas. Aber der Schein trog: Er war so gefährlich wie der Osterhase. Das war nicht der U-Bahn-Schlächter. Aber bis die Cops das endlich herausgebracht hatten, war Mahogany schon lange mit seiner Arbeit fertig,
    Es war viertel zwölf, als Kaufman in die Expreß-Linie, die bis zur Mott-Avenue durchfuhr, einstieg. Im Waggon waren zwei weitere Fahrgäste: eine Schwarze mittleren Alters in purpurrotem Mantel und ein blasser aknegeplagter Jugendlicher, der das Leck-meinen-weißen-Arsch-Graffiti an der Decke mit drogengeweiteten Pupillen anstarrte.
    Kaufman war im ersten Waggon. Er hatte eine Fahrt von fünfunddreißig Minuten Dauer vor sich. Angenehm eingelullt vom rhythmischen Geschaukel des Zuges, fielen ihm die Augen zu.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher