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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia
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Schmerzen. Und mit dem Schmerz und der Müdigkeit ging eine lähmende Sehnsucht einher; er dachte an Caroline, ihr langes, schwarzes Haar und ihre verwundeten Augen; an Lily, als sie fünf war und ganz unter dem Einfluss von Dorothy Gale und Tik-Tok gestanden hatte; [48] an Abbys Geduld und Stärke; an Nicholas, der seinen Vater mit einem Vertrauen anstarrte, das schon bald enttäuscht werden sollte… – das alles wollte er zurückholen. War das die treibende Kraft für den Bau des Archivs gewesen: diese tiefe Abneigung der Sterblichen, die Vergangenheit zu verlieren, zuzusehen, wie das Liebste sich in Nichts auflöste?
    Er schloss die Augen und drückte die Wange an einen nassen, steinernen Vorsprung. Das Licht in seinem Innern flackerte. Aus den Wunden quoll Blut.
    Der Schuss aus Toms Gewehr rüttelte ihn auf.
    Die beiden Wächter am erodierten Rand des Brunnens rissen den Kopf in die Richtung des Geräuschs. Tom feuerte noch einmal und eine der Bestien kreischte auf, es klang nahezu menschlich. Galliges Grün spritzte aus ihrem Bauch.
    Guilford nutzte die Ablenkung, um sich zwischen mannshohen Granitpfeilern etliche Yards näher an den Brunnen zu pirschen.
    Jetzt waren beide Kreaturen in Bewegung, näherten sich der Quelle des Gewehrfeuers, wobei sie fast rückwärts gingen und ihren Rückenpanzer als Schild benutzten. Sie waren außergewöhnlich groß, vielleicht auf ihre Aufgabe spezialisiert. Ihr Gang war aufrecht und fließend, sie ließen sich Zeit. Guilford wusste aus Erfahrung, wie schnell sie sein konnten. Scheren und Mandibeln waren ausgestellt, knochenweiß, glänzend vom Regen. Die kürzeren unteren Arme, mehr scharfe Hilfsinstrumente denn Arme, klapperten rastlos.
    Aus dem Nieselregen wurde ein Platzregen, kleine Wasserfälle rauschten über uraltes Gestein, der Brunnen dampfte.
    Die Bestien schienen nicht gerade erbaut von der Sturzflut. Sie hielten inne, wiegten unzufrieden den Kopf, eine Gebärde, die an Vögel erinnerte. Haut und Panzer bekamen einen seidigen Glanz, begannen in allen Farben des Regenbogens zu schillern. Guilford musste unwillkürlich daran denken, wie sie als Kinder in einem Bach Kiesel gewaschen hatten, bis sie richtig schön geglänzt hatten.
    Es war nicht mehr weit. Er spürte die Wärme des Brunnens, er stank nach verbranntem Gummi.
    Tom gab seine Deckung auf und feuerte noch einmal. Vielleicht hatte er keine Munition mehr. Guilford nutzte die Gelegenheit, die ihm der Grenzer verschaffte, und lief auf den Brunnen zu, nicht ohne sich umzublicken. Hau ab, bevor es zu spät ist!, wollte er brüllen, sah aber, wie dem Grenzer das linke Bein wegknickte. Tom fiel auf die Knie, brachte das Gewehr noch hoch, doch da war die Kreatur, die ihm am nächsten war, es war die verwundete, schon über ihm.
    Guilford stöhnte auf, als die Bestie im Handumdrehen Toms Kopf vom Rumpf zwickte.
    Der strömende Regen verhüllte alles andere. Die Luft roch nach Ozon und Blitzschlag.
    Er hätte weiterlaufen sollen. Die andere Bestie hatte ihn erspäht und bewegte sich mit atemberaubendem Tempo auf den Brunnen zu. Die langen Beine pumpten wie die eines Leoparden.
    Das Rauschen des Regens verschluckte jedes Laufgeräusch. Erst als sie stehenblieb, setzte sie laut vernehmlich eine Wolke stechender Lösungsmitteldämpfe frei, Abfallprodukte einer abwegigen Körperchemie. Ausdruckslose und fremdartige Augen nahmen ihn aufs Korn.
    Er hob das Gewehr und feuerte zweimal kurz hintereinander.
    Die eine Kugel schrammte den schimmernden Panzer, die andere mochte eine ungeschützte Rippe getroffen haben, jedenfalls torkelte die Kreatur einen Schritt zurück. Guilford drückte wieder ab, feuerte, bis das Magazin leer war und das Monster regungslos am Boden lag.
    Tom!
    Doch der Grenzer war unwiderruflich tot.
    Guilford wandte sich wieder dem Brunnen zu.
    Der Rand war zum Greifen nahe. Die Rampe, die ringsherum in die Tiefe führte, war intakt, aber übersät mit Schutt und Trümmern. Na und? Er hatte nicht vor, zu Fuß da hinunter zu gehen. Springen und sich der Gravitation überlassen: Das Kaninchenloch hatte keinen Boden, da unten war nur die Welt zu Ende. Er nahm Anlauf…
    … und blieb stehen, als sich kaum zehn Schritt vor ihm ein Mensch aufrichtete.
    Nein, kein Mensch, lediglich eine arme Seele, deren Vernichtung noch nicht abgeschlossen war. Vor allem das Gesicht sah aus, als sei es schon vor langer Zeit zerstört worden, wie vulkanische Platten wanderten die Knochen entlang der Bruchlinien.
    Diese Kreatur
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