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Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Autoren: Giulia Enders
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Muttermilch befinden sich 90 Prozent GOS und 10 Prozent andere unverdauliche Ballaststoffe. Bei Kühen machen GOS nur 10 Prozent der Milch-Ballaststoffe aus. Irgendetwas scheint hierbei also gerade für menschliche Babys wichtig zu sein. Bekommen Babys Milchpulver mit ein klein bisschen GOS -Pulver darin, ähneln ihre Darmbakterien denen von normal gestillten Babys. Einige Studien legen nahe, dass sie auch weniger Allergien und Neurodermitis entwickelten als andere Milchpulver-Säuglinge. Seit 2005 ist GOS -Zugabe in Milchpulver erlaubt – aber keine Pflicht.
    Das Interesse an GOS ist seither angestiegen und mittlerweile konnte noch ein weiterer Effekt im Labor gezeigt werden: GOS docken direkt an Darmzellen an – vor allem dort, wo sich sonst gerne Krankheitserreger festklammern. Dadurch funktionieren sie wie kleine Schutzschilde. Schlechte Bakterien können sich nicht gut festhalten und rutschen im besten Fall einfach an ihnen ab. Nach diesen Entdeckungen werden jetzt auch die ersten Studien zur Vorbeugung von Reisedurchfall mit GOS ins Rollen gebracht.
    Inulin wird schon länger erforscht als GOS . Es wird bei der Nahrungsmittelherstellung manchmal als Zucker- oder Fettersatz benutzt, weil es ein bisschen süß und gelartig ist. Präbiotika sind meistens bestimmte Zucker, die in Ketten verbunden sind. Wenn wir Zucker sagen, meinen wir oft ein bestimmtes Molekül aus der Zuckerrübe – dabei gibt es über hundert verschiedene Zuckerarten. Hätten wir uns für die Fließbandzuckergewinnung aus Chicorée entschieden, wären Süßigkeiten keine Karies erzeugenden Sünden. »Süß« ist nicht per se ungesund, wir essen nur völlig einseitig die ungesunde Variante.
    Oft ist uns nicht ganz geheuer, wenn Produkte als »zuckerfrei« oder »weniger fett« angepriesen werden. Süßstoffe wie Aspartam scheinen krebserregend zu sein, andere Süßstoffe aus typischen »light«-Produkten werden in der Schweinemast verwendet, um die Tiere dicker zu kriegen. Die Skepsis ist also durchaus berechtigt. Ein Produkt, das Inulin als Zucker- und Fettersatz enthält, kann allerdings gesünder sein als eines mit der vollen Ladung tierischem Fett und Zuckerzusatz. Es lohnt sich also bei Light-Produkten genau auf das Etikett zu schauen, denn bei manchen können wir uns tatsächlich mit gutem Gewissen belohnen, und unsere Darmbakterien dürfen mitnaschen.
    Inulin bindet nicht so gut an unsere Zellen wie GOS . Vor Reisedurchfall schützte es in einer sehr großen, gut angelegten Studie nicht – allerdings gaben die Inulin nehmenden Probanden an, dass sie sich deutlich wohler fühlten. Bei der Kontrollgruppe, die nur ein Placebo bekam, gab es diesen Wohlfühleffekt nicht. Man kann es in verschiedenen Längen produzieren, das ist super für eine besonders schöne Verteilung der guten Bakterien. Kurze Inulinketten werden am Anfang des Dickdarms von den Bakterien verspeist, längere Ketten eher am Ende.
    Dieser sogenannte ITFMIX mit verschiedenen Längen hat da gute Ergebnisse, wo mehr Fläche = besseres Ergebnis bedeutet. Bei der Aufnahme von Calcium zum Beispiel: Hier braucht man Bakterien, die es überall durch die Darmwand schleusen. ITFMIX konnte bei jungen Mädchen in einem Experiment die Calciumaufnahme um bis zu 20 Prozent verbessern. Das ist gut für die Knochen und kann so vor Osteoporose (schwache Knochen) im Alter schützen.
    Calcium ist deswegen so ein schönes Beispiel, weil es gut zeigt, wie weit man mit Präbiotika gehen kann: Erstens muss man trotzdem noch genug Calcium zu sich nehmen, um überhaupt einen Effekt zu haben, und zweitens bringen Präbiotika nichts, wenn andere Organe das Problem sind. In den Wechseljahren bekommen viele Frauen schwächere Knochen. Hier haben die Eierstöcke ihre große Midlife-Crisis. Sie müssen sich von der Hormonproduktion verabschieden und langsam lernen, die Entspanntheit des Rentnerdaseins zu genießen. Die Hormone fehlen den Knochen! Hier kann auch kein Präbiotikum das Ding mehr reißen, wenn es um Osteoporose geht.
    Unterschätzen sollte man das Ganze allerdings auch nicht. Kaum etwas beeinflusst die Darmbakterien so sehr wie unsere Nahrung. Präbiotika sind die mächtigsten Werkzeuge, um gute Bakterien zu fördern – und zwar solche, die schon in unserem Darm sind und dort auch bleiben. Vor allem präbiotische Gewohnheitstiere wie meine kartoffelsalatsüchtige Oma fördern, ohne es zu wissen, die besten Teile ihres Mikrobenorgans. Ihr zweites Lieblingsessen ist übrigens Lauchgemüse.
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