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Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Titel: Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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umrunden, Hauptsache sie würden rechtzeitig zurückkehren, um am nächsten Morgen wieder unter meinem Fenster vorbeizutrotten. Wie auch immer – irgendwie hänge ich an ihnen. Es sind drei Mädchen und ein Junge, alle mit einer Vorliebe für leuchtend rote Jacken. Wenn ich sie nicht sehe, wenn ich verschlafe, bin ich tatsächlich geknickt. Noch geknickter als sonst. Dieses Wort würde meine Mom benutzen, nicht so etwas Dramatisches wie
deprimiert
. Ich bin seit vierundzwanzig Jahren geknickt.
     
    Für das Treffen mit Jim Jeffreys zog ich Rock und Bluse an und fühlte mich dabei wie ein Zwerg, der in die Erwachsenenklamotten, das Zeug für große Mädchen, einfach nicht passte. Ich bin knapp eins fünfzig, eins siebenundvierzigeinhalb, um genau zu sein, aber ich runde lieber auf. Was dagegen? Ich bin einunddreißig, aber meine Mitmenschen neigen dazu, in einem kindischen Singsangton mit mir zu sprechen, als wollten sie mich fragen, ob ich gern mit Fingerfarben male.
    Langsam schlenderte ich über den abschüssigen Unkrautrasen vor meinem Haus, und wie auf Kommando begann der rote Nachbarshund zu bellen. Auf dem Gehweg bei meinem Auto lagen die zermalmten Skelette zweier Vogelbabys, die mich mit ihren flachgedrückten Schnäbeln und Flügeln an kleine Reptilien erinnerten. Sie waren schon seit einem Jahr da. Aber ich konnte nicht anders, ich musste sie jedes Mal wieder anstarren, wenn ich ins Auto stieg. Eine Überschwemmung wäre nötig, um sie endlich wegzuwaschen.
    Zwei ältere Frauen unterhielten sich vor einem Haus auf der anderen Straßenseite, und ich spürte, wie sie sich anstrengten, mich nicht zu sehen. Ich kenne hier niemanden mit Namen. Wenn eine dieser Frauen sterben würde, könnte ich nicht mal sagen: »Die arme alte Mrs Zalinsky ist tot.« Ich würde eher etwas wie: »Die fiese alte Zicke von gegenüber hat ins Gras gebissen« sagen.
    Ich fühlte mich wie ein Kindergespenst, als ich in mein Allerwelts-Mittelklasse-Auto stieg, das mir vorkommt, als wäre es aus Plastik. Jeden Tag warte ich darauf, dass jemand vom Autohaus auftaucht und mir das Offensichtliche mitteilt: »Das Ding ist ein Witz. Damit kann man gar nicht fahren. Wir haben nur Spaß gemacht.« Wie in Trance fuhr ich die zehn Minuten zur Innenstadt, um Jim Jeffreys zu treffen, erreichte zwanzig Minuten zu spät den Parkplatz neben dem Steakhaus, wusste aber, dass er freundlich lächeln und kein Wort über meine Verspätung verlieren würde.
    Er wollte immer, dass ich ihn auf dem Handy anrief, wenn ich da war, damit er mich abholen und zum Restaurant eskortieren konnte. Um das Restaurant herum – ein großes, altmodisches KC -Steakhaus – stehen nämlich lauter leerstehende Gebäude, und die machten ihm Sorgen. Als würde in den verlassenen Gemäuern eine Truppe von Vergewaltigern lauern und auf meine Ankunft warten. Jim Jeffreys will um keinen Preis derjenige sein, der zugelassen hat, dass jemand Libby Day etwas Böses antut. Nichts Böses darf unserem TAPFEREN BABY DAY , unserem LITTLE GIRL LOST , passieren, der armen rothaarigen Siebenjährigen mit den großen blauen Augen, die als Einzige das PRÄRIE - MASSAKER , das TEUFELSOPFER IM FARMHAUS , überlebt hat. Meine Mom, meine beiden großen Schwestern, alle von meinem Bruder Ben abgeschlachtet. Ich war als Einzige übrig geblieben und hatte ihn als den Mörder identifiziert. Ich war die kleine Süße, die diesen Teufelsanbeter, meinen Bruder, seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Ich war die Nachrichtensensation. Der »Enquirer« brachte mein tränenüberströmtes Foto auf der Titelseite mit der Schlagzeile EIN ENGELCHEN .
    Ich schaute in den Rückspiegel und konnte das Babygesicht auch heute noch sehen. Die Sommersprossen waren etwas verblasst, die Zähne gerichtet, aber es war immer noch die gleiche Stupsnase, die gleichen kätzchenrunden Augen. Vor einiger Zeit hatte ich angefangen, mir die Haare weißblond zu färben, aber der rote Ansatz war schon wieder deutlich zu erkennen. Es sah aus, als würde meine Kopfhaut bluten, vor allem in der Spätnachmittagssonne. Irgendwie eklig. Ich zündete mir eine Zigarette an. Oft rauche ich monatelang überhaupt nicht, und dann fällt mir plötzlich ein, dass ich dringend eine Zigarette brauche. So bin ich eben. Labil.
    »Na, dann mal los, Baby Day«, sagte ich laut. So nenne ich mich gern, wenn mir gerade alles verhasst ist.
    Ich stieg aus und schlenderte rauchend auf das Restaurant zu. Die Zigarette hielt ich in der rechten Hand, damit
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