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Darf's ein Küsschen mehr sein?

Titel: Darf's ein Küsschen mehr sein?
Autoren: R Gibson
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Junge. Damals hatte er noch nicht gewusst, wie man mit den Volldeppen dieser Welt fertig wurde. Damals war er gezwungen gewesen, mit dem Skandal zu leben, den seine Eltern ausgelöst hatten. Er hatte mit dem Getuschel leben müssen, wenn er einen Raum betrat. Mit den schiefen Blicken in der Kirche oder im Supermarkt. Mit den Hänseleien seiner Mitschüler oder, noch schlimmer, mit den Geburtstagspartys, zu denen
Meg und er nicht eingeladen wurden. Damals hatte er jede Kränkung mit den Fäusten geregelt, während Meg sich in sich selbst zurückgezogen hatte.
    Mick schnipste die Scheinwerfer an und schaltete in den Rückwärtsgang. Die Rücklichter des Ram erhellten die enge Gasse, als er über die Schulter blickend rückwärts vom Parkplatz setzte. In einer größeren Stadt wäre das skandalöse Leben von Loch und Rose Hennessy innerhalb weniger Wochen vergessen gewesen. Einige Tage auf den Titelseiten der Zeitungen und dann von etwas noch Schockierenderem in den Schatten gestellt. Von einem skandalöseren Thema, über das man sich beim Frühstück das Maul zerreißen konnte. Doch in einer Kleinstadt wie Truly, wo der aufsehenerregendste Skandal normalerweise aus Delikten wie Fahrraddiebstahl bestand oder daraus, dass Sid Grimes außerhalb der Jagdsaison wilderte, hatte die Verkommenheit von Loch und Rose Hennessy jahrelang für Gerede gesorgt. Spekulationen anzustellen und jedes tragische Detail immer wieder neu aufzuwärmen war zum beliebten Zeitvertreib geworden. Auf einer Stufe mit den Festzügen, dem Eisskulpturen-Wettbewerb und dem Auftreiben von Geld für die vielfältigen wohltätigen Projekte in der Stadt. Nur dass dabei scheinbar alle vergaßen, oder vielleicht war es ihnen auch egal, dass, anders als beim Dekorieren von Festwagen und bei der Einführung von Anti-Drogen-Freizeitprogrammen, zwei unschuldige Kinder betroffen waren, die einfach nur versuchten, über die Tragödie hinwegzukommen.
    Er schaltete in den ersten Gang und rollte aus der Gasse auf eine schwach beleuchtete Straße. Viele seiner Kindheitserinnerungen waren alt und verblasst und zum Glück vergessen.
Andere waren so glasklar, dass er sich an jedes Detail erinnerte. Wie an die Nacht, als Meg und er von einem Sheriff des Verwaltungsbezirks aus dem Bett geholt worden waren, der sie aufgefordert hatte, ein paar Sachen mitzunehmen, und sie zu ihrer Großmutter Loraine gebracht hatte. Er erinnerte sich, wie er nur mit einem T-Shirt, Unterwäsche und Turnschuhen bekleidet auf dem Rücksitz des Streifenwagens hockte und seinen Tonka Truck umklammerte, während Meg neben ihm saß und weinte, als wäre die Welt untergegangen. Und so war es ja auch. Er erinnerte sich an die aufgeregten kreischenden Stimmen aus dem Polizeifunk und daran, dass jemand nach dem anderen kleinen Mädchen sehen wollte.
    Als er die wenigen Lichter der Stadt hinter sich gelassen hatte, fuhr Mick drei Kilometer durch die tiefe Dunkelheit, bis er auf eine unbefestigte Straße abbog. Er kam an dem Haus vorbei, in dem Meg und er nach dem Tod ihrer Eltern aufgewachsen waren. Seine Großmutter Loraine Hennessy war auf ihre Art liebevoll und zärtlich zu ihnen gewesen. Sie hatte dafür gesorgt, dass Meg und er stets mit Winterstiefeln und Handschuhen ausgestattet waren und nie einen leeren Magen hatten. Doch was sie wirklich brauchten, hatte sie völlig vernachlässigt. Ein Leben, das so normal war wie möglich.
    Sie hatte sich geweigert, das alte Farmhaus zu verkaufen, in dem Meg und er mit ihren Eltern gelebt hatten. Jahrelang stand es verlassen am Stadtrand und wurde zu einem Refugium für Mäuse und zu einer ständigen Erinnerung an die Familie, die dort einmal gelebt hatte. Man konnte nicht in die Stadt fahren, ohne es zu sehen. Ohne dass einem das
wuchernde Unkraut, die abblätternde weiße Farbe und die schlaffe Wäscheleine auffielen.
    Und von Montag bis Freitag, neun Monate im Jahr, waren Mick und Meg gezwungen gewesen, auf dem Schulweg daran vorbeizufahren. Während sich die anderen Kinder im Bus über die neueste Folge von Ein Duke kommt selten allein unterhielten oder ihre Pausenbrote untersuchten, drehten Meg und er die Köpfe vom Fenster weg. Sie bekamen Bauchschmerzen, hielten den Atem an und beteten zu Gott, dass niemand ihr altes Haus bemerkte. Aber Gott hatte sie nicht immer erhört, und dann füllte sich der Bus mit dem neusten Klatsch über Micks Eltern, den die Kinder aufgeschnappt hatten.
    Die Busfahrt zur Schule war ein täglicher Höllentrip gewesen. Eine
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