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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael
Autoren: J. Walther
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hätte nicht einmal gehofft, ihn wieder zusehen, und nun sitzt er neben mir. Ich bin so durcheinander, dass ich nicht weiß was ich sagen soll. Schließlich frage ich das Naheliegende: “Bist du auch bei einer Familienfeier ausgebüxt? Ich habe dich gesehen, vor dem Gasthof.”
    Er nickt zögernd. “Ich habe dich auch gesehen.” Er schaut mich an. “Zeigst du mir das Foto, dass du von mir gemacht hast?”
    “Klar, ist aber keine Digikamera, ich muss die Fotos erst entwickeln. Wie heißt du eigentlich? Ich heiße Daniel.”
    “Ismael.”
    “Den Namen hab ich ja noch nie gehört.”
    “Alttestamentarisch”, sagt er trocken.
    “Bist du Jude?”
    “Nein, meine Familie gehört zu den Bekennern.”
    “Den was?”
    “Das ist eine Glaubensgemeinschaft.”
    Ich traue mich kaum, ihn anzusehen. Wir blicken beide schweigend aufs Wasser. Er ist so hübsch, dunkelbraune Locken bis zum Kinn, dunkelbraune Augen, sein Lächeln lässt sein Gesicht aufleuchten, und doch habe ich das Gefühl, vor seinem Lächeln liegt noch ein Schleier. Ich fühle mich hässlich neben ihm, zu dünn, die aschblonden Haare strähnig, das Lächeln verkniffen.
    Die Situation erinnert mich fatal an einen meiner Träume, in dem ich mit einem süßen Jungen an einem wunderschönen Abend wie diesem hier am Teich sitze und wir reden und verstehen uns prächtig und lachen und irgendwann küssen wir uns. Nur dass in meinem Traum keine lähmende Schüchternheit, kein peinliches Schweigen und keine Unsicherheit vorkam.
    Ismael reißt mich aus meinen Gedanken. “Eigentlich darf ich mich gar nicht fotografieren lassen.”
    “Du darfst nicht?”
    “Nein, das ist bei uns verboten. Man darf keine Bilder von sich machen lassen oder anschauen. Das würde die Eitelkeit zu sehr fördern. Wir dürfen auch keine Spiegel haben. Deswegen gehe ich manchmal an Teiche, da kann ich mich selbst im Wasser sehen.”
    “Es wäre ja auch schade, wenn du nicht wüsstest, wie du aussiehst.” Ich lächele ihn an, traue mich, ihm in die Augen zu sehen.
    “Es ist doch normal, dass man wissen will, wie man aussieht, oder?” Er scheint wirklich unsicher über diese Frage zu sein.
    “Klar, weißt du, wie lange andere Jugendliche vor dem Spiegel stehen.” In den Zeiten, als mich die Pubertät besonders hart traf, habe ich manchmal eine halbe Stunde oder länger nackt vor dem Spiegel zugebracht, aber das erzähle ich ihm lieber nicht.
    Er wirft einen Blick auf meine Uhr. “Oh je, ich muss ja wieder zurück, ich fehle schon viel zu lange.” Er steigt ins Wasser.
    Ich atme tief durch und nehme meinen ganzen Mut zusammen. Möglichst beiläufig sage ich: “Komm doch nächste Woche mal vorbei, wegen des Fotos.” Ich beschreibe ihm, wo ich wohne.
    “Klar, mach ich. Mach‘s gut.” Er lächelt mich an, bevor er sich umwendet und zurück schwimmt. Ich schaue ihm nach.Der Teich liegt so glatt da wie ein Spiegel, kleine Wellen breiten sich aus. Ich schaue Ismael hinterher, bis er sich angezogen hat und verschwunden ist.

 
    4
    Am Montag gehe ich gleich vormittags zu Katja, mit irgend jemandem muss ich jetzt einfach reden. Die halbe Nacht konnte ich vor Aufregung nicht richtig schlafen. Doch Katja ist nicht zu Hause, sondern bei Gunnar.
    Also radle ich die fünf Kilometer bis Bährwitz, um die Fotos zum Entwickeln zu bringen. Noch nie erschienen mir die zwei Tage Entwicklungszeit so lang, so oft ich auch schon gespannt auf ein Foto gewartet habe.
    Am Dienstag erwische ich Katja endlich. Wir gehen die Hauptstraße entlang bis zu der kleinen Dorfkirche. Im hinteren Teil des Friedhofes stehen einige alte Grabsteine, dort ist man ungestört. Wir setzen uns auf eine Bank im Schatten der Friedhofsmauer. Ohne Umschweife, bevor ich es mir anders überlege, fange ich an: “Ich bin verliebt, Katja.”
    “Na endlich, da wird ja auch mal Zeit bei dir. Kenn’ ich die Glückliche?”
    “Nein, es ist ein Junge.”
    Sie schaut mich an, als hätte ich ihr gesagt, ich sei schwanger. Nein, das hätte sie wahrscheinlich weniger aus dem Konzept gebracht. “Und das sagst du mir einfach so?”
    Eine nennenswerte Antwort fällt mir nicht ein. Sicher habe ich nicht erwartet, dass sie es ganz selbstverständlich hinnimmt. Aber ich habe auch keine Lust, so zu tun, als würde ich mich deswegen schämen. Eine Weile dringen keine weiteren Erleuchtungen aus Katjas Mund.
    “Aber du hattest doch mal eine Freundin”, sagt sie schließlich.
    “Da waren wir vierzehn und du bist mit ihrem Bruder gegangen.”
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