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Damon Knights Collection 7

Damon Knights Collection 7

Titel: Damon Knights Collection 7
Autoren: Damon Knight
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Insektenbeine um die Ränder krallten. So kehrte sie beschwingt wieder in das Wohnzimmer zurück. Sie ließ sich wieder in den unweigerlich zu kleinen Sessel nieder, verschränkte die Beine um die Stuhlbeine, fand es unbequem, reckte sich und streckte dann doch wieder beide Beine vor sich aus – an diese langen, undamenhaft harten Beine werde ich mich immer erinnern – und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre.
    Sie fragte oft: »Was ist das? Was ist das? Und was ist dies?« Doch das war nur am Anfang.
    Meine Mutter, die sie nicht leiden konnte, sagte, sie sei vom Zirkus, und wir sollten für sie Verständnis haben und freundlich sein. Mein Vater machte Witze. Er mochte weder große Frauen noch kurze Haare – in unserer Gegend noch eine Seltenheit – noch Frauen, die lasen; aber sie interessierte sich für seine Schreinerei, und das gefiel ihm.
    Aber sie war einen Meter dreiundneunzig groß; das war 1925.
    Mein Vater war Buchhalter und baute als Hobby Möbel; wir hatten einen Gasherd, den er einmal repariert hatte, als er kaputtgegangen war, und hinter dem Haus standen ein Gartentisch und Stühle, die er gezimmert hatte. Ehe unser Gast, der die Ferien bei uns verbringen wollte, mit dem Zug eintraf, stand ich meinem Vater hinter dem Haus dauernd im Weg herum, aber nachdem wir sie am Bahnhof abgeholt hatten – sie schüttelte meinem Vater die Hand so kräftig, daß es ihm anscheinend wehtat –, schaute ich ihr beim Lesen zu und hoffte, sie möge mich anreden.
    Sie sagte: »Du machst die Oberschule zu Ende?«
    Ich lauerte wie üblich in der Tür; ich bejahte.
    Sie blickte zu mir auf, dann wieder auf ihr Buch. Sie sagte: »Das ist ein sehr schlechtes Buch.« Ich schwieg. Ohne aufzuschauen tippte sie mit dem Finger auf das schäbige Polster, auf das sie die Füße gelegt hatte. Dann lächelte sie mich an. Ich trat vorsichtig vom Parkett auf den Teppich und näherte mich ihr so zögernd, als gälte es, die Sahara zu durchqueren; sie schwang die Beine auf den Boden, und ich setzte mich. Von der Nähe sah ihr Gesicht aus, als wären alle Rassen der Erde daran beteiligt und nur die häßlichsten Züge übernommen worden; so mochte ein amerikanischer Indianer aussehen, oder Echnaton aus einer Enzyklopädie, oder ein schwedischer Afrikaner, eine Maori-Prinzessin mit einem slawischen Unterkiefer. Plötzlich kam mir der Gedanke, sie könne eine Negerin sein, doch niemand schien sie dafür zu halten, möglicher weise weil noch keiner aus unserem Städtchen einen Neger zu Gesicht bekommen hatte. Bei uns gab es keine. Sie waren »Farbige«.
    Sie sagte: »Du bist doch nicht hübsch, oder?«
    Ich stand auf und erwiderte: »Mein Vater hält Sie für eine Mißgeburt.«
    »Du bist sechzehn«, fuhr sie fort. »Setz dich.« Ich gehorchte. Ich verschränkte die Arme vor meinen Brüsten, weil sie zu groß waren, wie Ballons. Dann sagte sie: »Ich lese ein sehr dummes Buch. Du wirst es mir wegnehmen, ja?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Du mußt aber«, bestand sie, »sonst wird es mich vergiften, so sicher wie das Amen in der Kirche.« Sie grabschte von ihrem Schoß den Bestseller vom Vorjahr, grün eingebunden, mit goldenen Lettern D ER GRÜNE H UT , EINE L IEBESGESCHICHTE ; ich hatte versprochen, es niemals zu lesen, aber sie hielt es mir hin am lang ausgestreckten Arm, während sie zurückgelehnt sitzenblieb, und ihre Finger umschlossen das Buch fast wie ein Käfig. Wahrscheinlich hätte sie einen Basketball mit einer Hand umklammern können. Ich nahm es nicht.
    »Mach schon«, drängte sie. »Lies es, na los, geh fort«, und da stand ich auch schon unter dem Torbogen am Fuß der Treppe und hatte D ER GRÜNE H UT , EINE L IEBESGESCHICHTE in der Hand. Ich verbarg den Titel an meiner Brust. Sie lächelte mich an, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. »Mach dir keine Sorgen, deine Figur wird spätestens im nächsten Krieg der letzte Schrei sein.« Ich begegnete meiner Mutter am oberen Treppenpodest und mußte das Buch vor ihr verstecken; meine Mutter sagte: »Ach, die arme Frau!« Sie war mit Bettwäsche beladen. Ich ging in mein Zimmer und verschlang das Buch in einer Nacht. Als ich fertig war, vergrub ich es in meinem Bett, und im Schlaf träumte ich von Hispano-Suizas, von Simpelfransen und tragisch umwölkten Augen; von Frauen, die sich die Lippen anmalten und Liebesaffären hatten, die jede Nacht in der Begleitung von Juden in finsteren Kaschemmen verkehrten, die taten, was ihnen gefiel, und die in teuren Schweizer Kliniken
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