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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und Louis Aragon, aber auch Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Albert Camus verschlang ich.Unter den Franzosen mochte ich Camus sehr, den ich im Original lesen konnte, Sartre kam mir zu kalt vor.
    Fast parallel dazu lernte ich eine Menge englischer Autoren kennen, teils in Übersetzung, teils in der Originalsprache: Joseph Conrad, George Bernard Shaw, Virginia Woolf und William Somerset Maugham.
    Doch in dieser Phase zwischen achtzehn und fünfundzwanzig entdeckte ich etwas ganz anderes als die Lektüre, was mein Leben sehr beeinflussen sollte. Mitte der fünfziger Jahre wurde in meiner Gasse aus eigener Initiative ein Sportclub gegründet. Eine ehemalige Müllhalde wurde zu einem schönen Basket- und Volleyballplatz. Es gab Tischtennis und Schach und Backgammon. Ich trat mit vierzehn in den Club ein und spielte, mehr schlecht als recht, Tischtennis, Basketund Volleyball. Mit achtzehn wurde ich Vizepräsident des Clubs, dessen Präsident aus Opportunismus der damalige christliche Kulturminister war. Immerhin zählte der Club über zweihundert Mitglieder und wurde von der Nachbarschaft stark besucht, da Tee und Kaffee sehr billig waren (fünf und zehn Piaster).
    Eines Tages kamen wir auf die Idee, eine Wandzeitschrift zu organisieren, da wir weder die Mittel hatten noch die Genehmigung erhielten, eine richtige Zeitschrift zu gründen.
    Unsere Zeitung klebten wir auf eine große Holztafel. Eine Glasscheibe schützte das Papier, eine Neonlampe ermöglichte das Lesen bei Dunkelheit. Wir nannten sie unbescheiden Al Muntalak (Der Ausgangspunkt). Denn nur hochmütig kann ein Habenichts überleben.
    Die Artikel, Gedichte, Satiren, Rätsel und Witze schrieben wir mit der Hand. Da ich drei Sommer lang bei einem alten Meister die Kunst der Kalligraphie gelernt hatte, entwarf ich die Überschriften. Wir waren zwei Kommunisten und dreiweitere Freunde, mit denen wir seit der ersten Klasse eng befreundet waren. Produktive Anarchie herrschte in der Redaktion. Oft bekamen wir, mein Genosse J. und ich, Rügen von der KP-Lokalführung, weil wir hartnäckig »bürgerlich« waren. Das war ein damals verbreitetes Schimpfwort, das sogar Dured Laham in seinen Sketchen gebrauchte. Aber die Zeitschrift blieb bis zu ihrem Verbot 1970 ein lebendiges Blatt.
    Wir produzierten alle zwei Wochen eine Nummer, und die Schule und später mein Studium litten darunter. Das Zeitschriftengeschäft ist mörderisch und raubt einem die letzte Ruhe. Wir recherchierten Skandale nach, interviewten einfache Leute und experimentierten mit Gedichten und Geschichten (heute kann ich nur lachen über unsere Frechheit und nur eine große Liebe gegenüber meiner Gasse empfinden, die so viel Geduld mit uns hatte).
    Manchmal kam ich spät von der Universität oder von Privatstunden (Mathematik, Chemie und Physik) und war erschlagen vor Müdigkeit. Neben Parteiarbeit, Club und hartem Studium musste ich ca. 20 Stunden im Monat unterrichten, um mein Geld zu verdienen. Wenn ich aber aus der Ferne sah, wie eine Menschentraube um die beleuchtete Wandzeitung stand und lachte, fühlte ich mich mit einem Fuß im Paradies. Wer unter den Nachbarn nicht lesen konnte, hörte, was die anderen laut lasen. Und dann sagte eines Tages eines der Kinder: »Das ist nichts für uns. Das ist Quatsch für die Erwachsenen.« Ich war tief getroffen.
    In der Redaktion war keiner bereit, eine Ecke für Kinder zu gestalten. Die anderen vier waren bis über die Ohren mit ihren Themen beschäftigt, und so übernahm ich es, Kinderbücher zu lesen und unten in der Wandzeitschrift, auf Augenhöhe der Kinder, für die jüngeren Leser meiner Gasse Interessantes aus aller Welt zu schreiben. Ich muss heute ehrlichsagen, mein Einsatz fing an aus schlechtem Gewissen, da ich mich schämte, dass die Kinder ausgeschlossen waren, und ich war anfangs moralisch verkrampft. Ich wollte nur gute brave Geschichten für Kinder aufschreiben, zusammenfassen, übersetzen (inzwischen konnte ich immerhin Französisch und Englisch), doch bald entdeckte ich eine unendlich reiche Welt der Kinderliteratur, die mich faszinierte und bis heute noch fasziniert. Allein Alan Alexander Milnes Winnie-the-Pooh oder Lewis Carrolls Alice sind für mich klassische Lehrstücke, die jeder Autor unbedingt lesen muss, bevor er zum Stift greift. Und ich fühle heute eine unendliche Freude darüber, nicht nur mit meinem Sohn Emil Kinder- und Jugendromane zu lesen, sondern Kindern seiner Generation Geschichten zu erzählen, die das
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