Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Stunde, bis der krähende Hahn im Radio anzeigte, dass der Morgen dämmerte, und zwar immer dort, wo die Geschichte am spannendsten wurde.
    Ich eilte ins Bett und konnte oft nicht gleich schlafen. Ich erfand Nacht für Nacht mehrere Varianten, wie die Geschichte weitergehen könnte.
    Dabei aber lernte ich von Scheherazade, dass Erzählen Leben bedeutet und Schweigen dem Tod gleicht. Langeweile auch!
     
    Bei meiner Rückkehr aus dem Kloster eröffneten sich für die Befriedigung meiner Sucht nach Büchern zwei Quellen: die amerikanische Bibliothek und der geheimnisvolle Ismail. Sie ermöglichten mir Bücher zu lesen, ohne dass ich dafür Geld ausgeben musste. Mein Taschengeld war minimal und reichte gerade für eine Hand voller Nüsse und ein billiges Eis. Alles andere, ob Kino oder feine Süßigkeiten vom armenischen Konditor für die attraktive Nachbarstochter, die ich damals liebte, musste ich hart erarbeiten. Hilfe gegenüber Nachbarn wurde kaum entlohnt, und wenn, dann mit Naturalien. Um Geld zu verdienen, musste ich auf der Straße handeln, reiche Kinder beim Murmelspiel reinlegen und bei meiner Mutter lange betteln. Am Ende einer Woche konnte ich gerade so viel zusammenkratzen, um ins Kino zu gehen. Einen Roman zu kaufen kam deshalb nie in Frage.
    Die erste kostenlose Quelle für Romane war die amerikanische Bibliothek; ein armenischer Schulkamerad machte mich darauf aufmerksam, dass man dort Bücher gebührenfrei ausleihen konnte. In der Tat war das Personal, gleich ob Männer oder Frauen, sehr freundlich. Sie waren die Ersten, die mich bereits mit vierzehn Mister nannten (ich maß damals 1,70m und war für mein Alter zu groß).
    In den klimatisierten Räumen und bei kühlem Wasser aus einem lustigen Automaten begann ich meine Entdeckungsreise durch die amerikanische Literatur: die Romane von John Steinbeck, William Faulkner, Jack London, Ernest Hemingway, aber ebenso Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte und Margaret Mitchells Vom Winde verweht .
    In den ruhigen Räumen des schönen Hauses im neuen Stadtviertel von Damaskus fühlte ich mich sehr wohl, was mich später als junger Kommunist zu meiner ersten Lüge zwang. Ich wurde in meiner Parteizelle argwöhnisch gemustert, als ich offenherzig die amerikanische Bibliothek lobte und als »nachahmenswert« bezeichnete. Ich sei dem amerikanischen Imperialismus auf den Leim gegangen und müsse aufpassen, dass man mich nicht durch Gehirnwäsche zum Agenten mache, sagte mir Genosse Schahin, ein kompromissloser Kommunist aus gutem Hause, der später ein reicher Autohändler in Damaskus wurde. Seit diesem Tag erwähnte ich meine Besuche in der amerikanischen Bibliothek nicht mehr.
    Zeitlich fast parallel zur amerikanischen Bibliothek entdeckte ich unmittelbar neben meiner Gasse eine zweite Quelle für Bücher, den Laden von Ismail. Ismail war Buchhändler, Antiquar, Talismanverkäufer und Bilderrahmenhersteller in einer Person. Er war Alawit, liebte Bücher und betete Ali an, dessen Bildnis in vielen Varianten im Laden hing. Mich faszinierte Ali, der Weggefährte des Propheten, ebenfalls, und das aus zwei Gründen. Der erste Grund war eine Verwirrung in meinem Religionsverständnis des Islam, da ich bis dahin gelernt hatte, die Muslime würden Bilder verachten und die Darstellung der Heiligen verbieten. Der andere Grund war die besondere Ikonographie Alis. Sein Gesicht strahlte weibliche Schönheit aus, wie das der meisten Engel in der katholischen Kirche. Mit seinen sanften Augen glich er einer indischenSchönheit, trotz des Barts und trotz des komisch gespaltenen Schwertes, das mir sehr unpraktisch erschien und eher an eine Friseurschere oder an einen besonderen Spieß für Schaschlik erinnerte als an das legendäre Schwert Alis, von dem sogar die Schulbücher schwärmten.
    Mein kluger Schulkamerad Josef, ein Experte für Verschwörungen, flüsterte mir zu: »Alawiten, Yeziden und Drusen sind geheime Organisationen, und sie verehren Ali, Moses, Jesus und alle griechischen Götter.«
    Der Buchhändler sah auch wie ein Verschwörer aus, war dabei freundlich und schweigsam und gab auf einfache Fragen verwirrende Antworten. Erst später erfuhr ich, dass Josef Unsinn erzählte, aber damals hatte ich großen Respekt vor dem Mann, der sich nicht mit einem Gott begnügte, sondern gleich mehrere zugleich anbetete. Mir war schon der eine katholische Gott kompliziert genug.
    Eines Tages – nachdem ich lange darüber gebrütet hatte – erläuterte ich ihm meine Idee. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher