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Dackelblick

Dackelblick

Titel: Dackelblick
Autoren: Frauke Scheunemann
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das Gesicht eines ziemlich ungemütlich aussehenden Boxers. Er schiebt seine Nase ganz dicht an meine und verströmt dabei einen Geruch, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt.
    »Pass auf, du aufgeblasener Zwerg: Wenn du nicht neu wärst, wärst du jetzt ein toter Hund. Hier gelten unsere Regeln, besser du hältst dich daran. Also wenn mein Freund Bozo sagt, dass du dich verpissen sollst, dann ...«, er kommt noch ein bisschen näher und schnappt blitzschnell nach mir.
    Aua! Ein stechender Schmerz fährt durch mein rechtes Ohr. Hilfe! Der ist ja gemeingefährlich! Ich belle aufgeregt - offensichtlich bin ich unter militante und gewaltbereite Straßenköter geraten. Aber sosehr ich auch belle - niemand kommt. Nicht einmal die junge Frau in der Latzhose. Boxer und Bozo grinsen selbstzufrieden.
    »Spar dir die Mühe. Die hört dich momentan nicht - ist zu den Katzen rübergegangen. Wir könnten dich jetzt richtig plattmachen, und niemand würde dir helfen. Ein toter Hund mehr in der Statistik dieser Bude. Wen interessiert das schon?«
    Ich merke, wie sich meine Nackenhaare sträuben und es mir eiskalt den Rücken herunterläuft. Bozo, die schwarze Töle, baut sich wieder vor mir auf.
    »Also, was ist jetzt? Wenn ich sage
verpiss dich?«
    »Dann verpisse ich mich?«, ergänze ich seinen Satz.
    »Richtig. Hundert Punkte. Braves Hundchen.«
    Bozo verpasst meiner empfindlichen Nase noch einen kräftigen Stüber mit seiner ungepflegten Pfote. Erschreckt springe ich zur Seite und laufe auf zittrigen Beinen in die andere Ecke des Zwingers. Dort sitzen noch zwei andere Hunde, die das Geschehen gelangweilt beobachtet haben. Mord und Totschlag scheinen hier an der Tagesordnung zu sein, jedenfalls interessiert sich niemand dafür, dass ich gerade Opfer eines Verbrechens geworden bin. Ein älterer Münsterländer rückt ein Stück zur Seite, als ich mich neben ihn setze. Immerhin nicht gleich der Nächste, der mich bedroht. Eine Weile hocken wir schweigend nebeneinander. Dann rückt er wieder ein Stück näher an mich heran und flüstert in mein Ohr: »Leg dich besser nicht mit den beiden an. Die sind echt gefährlich. Aber wenn du ihnen aus dem Weg gehst, lassen sie dich meistens in Ruhe.«
    Aus dem Weg gehen? Das ist doch wohl ein Scherz. Dieser Zwinger ist ziemlich klein, und wir sind immerhin fünf Hunde. Offenbar ist dem Münsterländer auch gerade aufgefallen, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Jedenfalls grinst er mich jetzt verschmitzt an und murmelt: »So gut es eben geht, haha. Ich heiße übrigens Fritz.«
    Ich sage erst einmal nichts. Unter den gegebenen Umständen habe ich wirklich keine Lust, mich zu unterhalten. Stattdessen lege ich den Kopf auf meine Pfoten und sehe Bozo und dem Boxer zu, wie sie sich auf
meinem
Sonnenfleckchen fläzen. Wahrscheinlich machen sie sich gerade über mich lustig. Eigentlich bin ich sehr gerne ein Dackel, aber in diesem Moment wäre ich viel lieber ein Kampfhund. Staffordshire, Pitbull oder irgendetwas anderes in Richtung
Lizenz zum Töten.
    »He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat's doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da drüben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«
    Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.
     
    Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe kaum geschlafen - und wenn mir doch mal für fünf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alpträume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. Müde trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der Käfigtür steht.
    »Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.
    »Na, heute ist Besuchstag. Und falls tatsächlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen mögen so was.«
    Ob er damit richtig liegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen längeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermaßen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein?
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