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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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eine Ehe zu wagen. Mit einem jüngeren Mann. Auch für ihn die erste Ehe. Zwei bis dahin in ihrem Leben sehr Unabhängige, sehr Autonome wollten sich zusammentun. Liebe auf einen ersten, sehr langen Blick.

     

    Das Magazin der »Süddeutschen Zeitung« plant ein ganzes Heft über ungewöhnliche Lieben. Über Menschen, die sich sehen, auf Anhieb mögen, sich aber doch aus den Augen verlieren, Jahre später unerwartet wiedersehen und sich nicht mehr loslassen. Ich habe meinen späteren Ehemann auch zweimal getroffen. Beim ersten Mal ist nichts passiert. Zwanzig Jahre später schon. Da stand er wieder vor mir und diesmal blieb er. Besondere Männer erfordern besondere Maßnahmen. Deshalb habe ICH ihm nach wenigen Wochen einen Heiratsantrag gemacht.
    Ich will dich heiraten, du mich auch?
    Ganz so platt habe ich es nicht gemacht, aus gutem Grund. Ich wollte es vorsichtiger formulieren, weil ich mir nicht ganz sicher war, ob ich mir nicht doch ein Zögern, ein »Vielleicht« einhandeln würde.
     
    Dreizehn Jahre später also hat die SZ -Redaktion über ein paar Ecken von dieser Geschichte gehört, fragt an, ob ich nicht Lust habe, davon zu erzählen. Meine Lust ist eher verhalten, nach so langer Zeit kann ich das Außergewöhnliche unseres Kennenlernens nicht mehr recht nachvollziehen. Auf Nachfragen des Redakteurs erzähle ich am Telefon die Details eher zögerlich, bis ich allmählich zurückrutsche in die Vergangenheit und zeitgleich in der Gegenwart begreife, dass ich alles richtig gemacht haben muss, wenn es sich nach dreizehn Ehejahren immer noch so gut anfühlt:
    »Ich habe den Mann, der später mein Ehemann werden sollte, Anfang der Achtzigerjahre kennengelernt. Er hat mir gefallen und ich ihm auch. Aber die Zeit war da noch nicht reif.
    Ich glaube an solche Dinge: dass manches erst passiert, wenn es passieren soll. Jedenfalls habe ich ihn danach zwanzig Jahre nicht gesehen. Und als er dann vor mir stand, habe ich ihn nicht wiedererkannt. Zwei Monate später habe ich ihn gefragt, ob er mich heiraten will.
    Aber von vorn: Jochen und ich haben uns in Marl kennengelernt, ich saß in der Jury eines Wettbewerbs des Arbeitsministeriums. Er war für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Wir haben uns gut verstanden, wir mochten uns. Abends sind wir zusammen mit dem Zug zurückgefahren. Er musste nach Düsseldorf, ich nach Köln. Als der Zug in Düsseldorf hielt, blieb er sitzen, damit wir noch ein bisschen Zeit zusammen hatten. In Köln haben wir uns verabschiedet – und er hat den nächsten Zug zurück genommen. Ich dachte damals schon: was für ein guter Typ. Aber wir beide waren in festen Beziehungen.
    Heute weiß ich, dass Jochen während der nächsten neunzehn Jahre immer mal wieder an mich gedacht hat. Ich bekam jedes Jahr eine Weihnachtskarte von ihm, bis ich Anfang der Neunzigerjahre in die USA zog. Dann gingen die Karten zurück – »unbekannt verzogen«.
    1999 habe ich ein Buch geschrieben und meine ersten Lesungen gemacht, eine davon in Münster. Nach der Lesung ging ich mit den Buchhändlern noch in ein Lokal, es war September und ein sehr warmer Abend. Wir sitzen also draußen, an einem belebten Platz, und da sehe ich einen Mann auf einem cremefarbenen Fahrrad vorbeifahren, weißes Hemd, Jackett und eine Krawatte, die ihm lässig um den Hals baumelt. Ich hab ihn angeguckt und sofort Wehmut verspürt. Im nächsten Leben, dachte ich, suchst du dir genau soeinen Mann. Keine Affären, kein Umherirren, sondern einen wie ihn. Dabei war ich sicher: Der hat sein Glück schon gefunden, ist verheiratet. Zwei Kinder mindestens. Ich habe mich gezwungen, nicht mehr hinzugucken, weil es mich traurig gemacht hat. Und plötzlich steht er an unserem Tisch, sieht mich an und sagt: »Hier steckst du also.«
    Was ich nicht wusste: Jochen lebte mittlerweile in Münster und hatte das Plakat für die Lesung gesehen, aber keine Karte mehr bekommen. Abends hat er die Kneipen der Stadt abgesucht, eine nach der anderen, bis er mich gefunden hatte.
    Er hat sich zu mir gesetzt. Und ich hatte minutenlang keine Ahnung, wer er war und woher ich ihn kannte. Er ließ mich raten und hat das sichtlich genossen.
    Irgendwann dämmerte es mir: War da etwas mit einem Zug? Vor vielen Jahren? Die Buchhändler saßen verdutzt da, sie waren plötzlich außen vor, und das haben sie auch begriffen und sind bald gegangen. Der Abend endete um fünf Uhr morgens vor meinem Hotel. Aber es ist nichts passiert. Wir wollten vorsichtig miteinander sein,
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