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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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meine Gedanken sind lauter.
    Ich möchte, dass sie mich mag. Dass sie mich gut findet. Was muss ich tun, damit das passiert?
     
    Auf die Idee, einfach so zu sein, wie ich bin, unverstellt eben, komme ich nicht. Ich versuche gelassener, klüger, sympathischer zu wirken, als ich mich fühle. Mehr zu sein. Es kostet Kraft, strengt an, weil ich es erzwingen will. Will, dass sie mich genauso schnell gut findet wie ich sie. Falls das nicht funktionieren sollte, kann es nur an mir liegen.
     
    Da ist er wieder. Mein alter Bekannter, mein treuer Begleiter: der Verdacht, nicht gut genug zu sein.
    Für Menschen wie diese Frau zum Beispiel. Starken Persönlichkeiten, wie sie eine ist, nicht genügen zu können.
    Warum mache ich mich wieder ohne Not klein?

    Es bleibt Zeit, darüber nachzudenken, ich habe stille Tage vor mir. Tage, an denen ich mit mir und den Dämonen in mir reden kann.
    Dämonen? Verhinderer trifft es besser. Die Verhinderer, die mich zu Posen statt zur Wahrhaftigkeit drängen.
    Warum? Weil das, was ich bin, wer ich bin, nicht reichen könnte? Weil mich eine Zen-Meisterin langweilig, uninteressant, fade finden könnte? Es ist die stete Wiederkehr von Mehr-scheinen-Wollen als Sein-können.
    Sie redet noch immer, ich zwinge mich zum Zuhören und bin doch nicht bei der Sache. Als sie am Ende ihrer Instruktionen ist, fange ich an zu weinen. Bin selbst am meisten überrascht von dieser unerwartet hochsteigenden Traurigkeit.
    Wo hatte sie sich versteckt?
     
    Die Fernsehkamera ist dabei, zoomt auf mein Gesicht, auf die zitternden Lippen. Ich halte die Hand vor die Linse wie ein Krimineller, der nicht gefilmt werden will. Rette mich in ein Lachen, erzähle viel zu hektisch, dass Tränen nichts Besonderes bei mir seien, man sich daher keinesfalls sorgen solle.
    Selbst für meine Ohren bin ich zu laut und zu bemüht. Die Zen-Meisterin nimmt meine Hände, formt sie zu einer Schale und sagt, ich solle die Tränen einfach auffangen. Und falls mir in der Meditation nach Weinen zumute sei, nur zu.
     
    Später, allein in meinem Zimmer, ist nur noch ein unbestimmtes Schämen übrig.
    Ist Weinen ein Zeichen von Schwäche?

    War es überhaupt Schwäche?
    War es nicht eher Sehnsucht? So fühlt es sich an. Aber Sehnsucht wonach? So mit sich eins zu sein wie diese Frau? So viel Sicherheit und Gelassenheit auszustrahlen, Wissen und Weisheit?
    Schon so weit auf dem Weg zu sein wie sie?
    Ist es das, was mich bewegt? Ich weiß es nicht.

     
    Beim lautlosen Abendessen fehlt der Birnenmann. Er hat wie immer die Meditation Minuten früher verlassen, aber jetzt ist sein Platz am Tisch leer.
    Roomservice?
    Gerade noch rechtzeitig Tofuwürstchen und eine Schüssel Rote Bete auf sein Zimmer geschafft und unters Bett geschoben? Will er mal allein sein und sich selbst was Schönes von früher erzählen? Hat er es nicht mehr ausgehalten und ist heimlich abgereist? Was hat er nicht mehr ausgehalten? Das Mit-sich-Alleinsein, die inneren Monologe, die man wie von selbst mit sich beginnt?
    Man kann nicht nicht denken. Denken, die stille Zwiesprache mit sich selbst.

     
    Geht aber auch laut. Bei mir jedenfalls, als ich im Herrenklo stehe und die Pinkelbecken sauber mache. Vielleicht ist Herrenklo der falsche Ausdruck. Herren stelle ich mir anders vor. Herren pinkeln nicht daneben. Und falls doch, machen sie es hinterher ungeschehen, sie machen es weg, oder? Oder nicht.
    In meinem Männerklo gilt: oder nicht.
    Ich fange an, mich wegzuwünschen. Aber niedrigeArbeiten, und Kloputzen ist erniedrigend, gehören zu den Aufgaben einer Zen-Meditation.
    Sich auf die Arbeit zu konzentrieren, die gelben, braunen, farblich nicht mehr zu bestimmenden Flecken, Streifen, Krusten sehen, wahrnehmen und sie entfernen. Das ist schon alles.
    In manchen Restaurants hängen auf den Toiletten freundliche Schilder mit der klugen Aufforderung: Verlasse diesen Ort immer so, wie Du ihn vorzufinden wünschst. So eine Art kantscher Imperativ für den Hausgebrauch hat das jemand mal genannt.
    Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu.
    Ist interessant, dass an einem solchen Ort der stille Zorn über Menschen, die es anderen überlassen, die Drecksarbeit zu machen, nur schwer zu bändigen ist. Wie lange dauert es, bis Gedanken wirklich bereit sind, zur Ruhe zu kommen. Geht das überhaupt? Nur im Augenblick, in jeder einzelnen Sekunde zu leben und das auch zu spüren?
    Wenn ich »Jetzt« denke, ist das Jetzt schon vorbei, es ist schon zu
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