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Cujo

Cujo

Titel: Cujo
Autoren: Stephen King
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maskenhafter wurde. Aus dem Telefon hörte sie nur unverständliches Gezeter.
    Schlechte Nachrichten aus Maine. Das war für sie eine alte Geschichte. Es war ja ganz schön, an einem sonnigen Vormittag mit ihrer Schwester in der Küche zu sitzen, Tee zu trinken und Orangenscheiben zu essen und darüber zu reden, wie sie sich in das Met Theater geschlichen hatten. Ansonsten hing mit jedem ihrer Kindheitstage irgendeine schlechte Nachricht zusammen. Das Gesamtbild war so schrecklich, daß es unwirklich nichts ausgemacht hätte, ihre ältere Schwester nie wieder zu sehen. Zerrissene Baumwollschlüpfer, über die die anderen Kinder sich lustig machten. Kartoffeln sammeln, bis ihr der Rücken wehtat. Red Timmins - wie sorgfältig hatten sie und Charity es vermieden, seinen Arm zu erwähnen. Er war so zerquetscht gewesen, daß er amputiert werden mußte, und Holly hatte sich gefreut. Red hatte ihr einmal einen unreifen Apfel ins Gesicht geworfen, daß sie Nasenbluten bekam und weinen mußte. Red hatte sie oft gequält und dazu noch gelacht. Sie erinnerte sich an das erbärmliche Essen, wenn wieder mal kein Geld im Haus war. Sie erinnerte sich daran, wie die Außentoilette im Hochsommer stank, und der Geruch war Scheiße, und falls jemand fragen sollte, das war kein guter Geruch.
    Schlechte Nachrichten aus Maine. Und irgendwie wußte sie, daß sie nie darüber sprechen würden, und wenn sie hundert Jahre alt wurden und die letzten zwanzig Jahre gemeinsam verbrachten. Charity war bei diesem elenden Leben geblieben. Von ihrem guten Aussehen war fast nichts geblieben. Ihr Gesicht war voll Falten. Ihre Brüste hingen herab, selbst wenn sie einen BH trug. Im Alter lagen sie nur sechs Jahre auseinander, aber wer sie sah, konnte meinen, es seien sechzehn. Und was das Schlimmste war, es schien ihr überhaupt nichts auszumachen, daß sie ihren hübschen intelligenten Jungen zu einem ähnlichen Leben verurteilte … wenn er nicht irgendwann gescheit wurde. Für die Touristen, dachte Holly mit der Verbitterung, die sie auch in all den guten Jahren nicht verloren hatte, war es ein Ferienland. Aber wenn man aus solchem Elend kam, brachte jeder Tag schlechte Nachrichten. Und eines Tages betrachtete man sich im Spiegel, und das Gesicht, das einen dann anstarrte, war Charity Cambers Gesicht. Und jetzt gab es wieder schlechte Nachrichten aus Maine, dieser Heimat aller schlechten Nachrichten. Charity legte den Hörer auf, ihr Blick ruhte auf dem Telefon, und neben ihr stand der Tee.
    »Joe ist tot«, verkündete sie plötzlich.
    Holly zog scharf die Luft ein. Es gab ein kaltes Gefühl an den Zähnen. Warum bist du nur hergekommen? Sie hätte schreien mögen. Ich wußte, daß du mir das ganze Elend wieder vor Augen führen würdest, und das hast du ja auch getan..
    »O, Honey«, sagte sie. »Hast du das auch richtig verstanden?«
    »Der Mann hat von Augusta angerufen. Er heißt Masen. Von der Generalstaatsanwaltschaft.«
    »War es … war es ein Autounfall?«
    Charity sah ihre Schwester direkt an, und Holly war schockiert und entsetzt. Charity sah überhaupt nicht aus wie jemand, der eine schreckliche Nachricht bekommen hat. Sie sah aus, als hätte sie eine gute Nachricht bekommen. Die Falten in ihrem Gesicht hatten sich geglättet. Ihre Augen blickten leer … aber lag hinter dieser Leere Schock oder die verträumte Ahnung kommender Möglichkeiten?
    Wenn sie Charity Cambers Gesicht gesehen hätte, als diese die Zahlen auf ihrem Lotterielos prüfte, hätte sie es gewußt.
    »Charity?«
    »Es war der Hund«, sagte Charity. »Es war Cujo.«
    »Der Hund?« Sie war verwirrt. Sie konnte beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen Joe Cambers Tod und dem Hund der Cambers herstellen. Dann ahnte sie es. Sie dachte an Red Timmins gräßlich verstümmelten Arm, und ihre Stimme wurde schriller und höher. »Der Hund?«
    Bevor Charity antworten konnte - wenn sie es überhaupt beabsichtigt hatte -, waren hinten im Hof fröhliche Stimmen zu hören: Jims hohe, piepsige Stimme und Bretts Stimme, tiefer und ein wenig belustigt. Und jetzt veränderte sich Charitys Gesicht.
    Es verriet tiefes Entsetzen. Holly kannte diesen Gesichtsausdruck und haßte ihn. Es war ein Ausdruck, der alle Gesichter gleich machte - ihr eigenes Gesicht hatte in jenen alten Tagen oft diesen Ausdruck gehabt.
    »Der Junge«, sagte Charity. »Brett. Holly … wie soll ich Brett sagen, daß sein Vater tot ist?«
    Holly wußte keine Antwort. Sie konnte ihre Schwester nur hilflos
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