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Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Titel: Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
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hm?
    Welche Macht hat er über dich?
    Welche ganz besondere Art von Neurose hast
du,
die dich zwingt, ihm immer und immer wieder zu Hilfe zu kommen?
    »Schluss damit«, schimpfte sie halblaut vor sich hin. Seit sie ein Graduiertenstudium in Psychologie aufgenommen hatte, konnte sie es einfach nicht lassen, sich ständig selbst zu analysieren.
    Das wurde allmählich lästig.
    Sie schaltete das Radio ein. Die letzten Töne einer Country-Ballade über eine Dreiecksbeziehung gingen in einen Werbespot für das neueste Diätprogramm über. Auch nicht viel besser. Sie wechselte den Sender und hörte mit halbem Ohr zu, während sie mit zusammengekniffenen Augen in den dichter werdenden Nebel spähte. Bis zu Vernons Hütte war es nicht mehr weit. Am Stamm einer hohen Fichte erkannte sie ein verblichenes Schild, das besagte, dass Jagen hier verboten war. Die Einschusslöcher unzähliger Schrotladungen hatten die Schrift beinahe unleserlich gemacht.
    Nur ein einziges Fahrzeug überholte sie auf ihrem Weg durch das Sumpfgebiet. Obwohl die Nacht weiß Gott nicht kalt war, fröstelte sie. Endlich fiel das Licht ihrer Scheinwerfer auf den verbrannten Ast einer Pappel, und gleich dahinter befand sich der Zugang zu Vernon Kajaks Grundstück. Ein verrostetes Tor hing schief an einer einzigen Angel; der alte Viehzaun war noch intakt. Behutsam steuerte sie den Wagen auf das Privatgelände.
    Die Zufahrt, einst ein Kiesweg, bestand jetzt nur mehr aus zwei tiefen Furchen im schlammigen Boden. Unkraut scharrte am Bodenblech des Camry. Der Wagen holperte durch Schlaglöcher und über Steine, und Eve war gezwungen, im Schritttempo zwischen bleichen Zypressenstämmen und Gestrüpp hindurchzufahren.
    Himmel, war es hier dunkel. Und gespenstisch, wie in einem Horrorfilm.
    Eve war gewiss kein Feigling, aber sie war auch nicht dumm. Ihr war klar, dass es keine besonders gute Idee war, sich bei düsterer Nacht in einem Sumpf in Louisiana herumzutreiben. Jahrelanges Taekwondo-Training und eine kleine Dose Pfefferspray in ihrer Handtasche boten ganz sicher keinen ausreichenden Schutz vor den Gefahren, die sich womöglich im dichten Unterholz verbargen. »Ach, mach dich doch nicht verrückt«, sagte sie laut.
    Sie schaltete das Radio aus und hielt mit zusammengekniffenen Augen Ausschau nach der Hütte.
    Alles, was heute passiert war, erschien ihr seltsam unstimmig, und das Ganze gipfelte in ihrem Streit mit Cole.
    Wie war es dazu gekommen? Okay, nach einem Besuch ihres Vaters war sie etwas gereizt gewesen, aber war das tatsächlich der Grund dafür, dass der Mann, den sie heiraten wollte, ihr plötzlich mit kalter Wut begegnete?
    Und nun hatte Roys Anruf sie in die neblige Nacht herausgelockt. Seit dem vergangenen Tag schien ihre gesamte Welt irgendwie aus dem Lot geraten zu sein. Eve schüttelte sich, versuchte, das unheimliche Gefühl loszuwerden.
    Noch einmal sah sie auf die Uhr.
    In ein paar Minuten würde sie es hinter sich haben.
    Bis zur Hütte war es nur noch eine Viertelmeile.
     
    Der Retter wartete.
    Bebend.
    Erregt.
    Angestrengt lauschend.
    Die Nerven bis zum Zerreißen gespannt.
    Doch die Stimme schwieg.
    Er empfing weder Lob für seine Taten noch Tadel dafür, dass er die Aufgabe nicht erfüllt hatte.
    Sein Herz raste, und er hob das Gesicht zum Himmel. Ein kalter Frühjahrswind fegte über das Sumpfland, und der Mond schimmerte nur schwach durch den aufsteigenden Nebel.
    Alle Sinne aufs äußerste geschärft, nahm er den metallischen Geruch von Blut wahr, das von den Fingerspitzen seiner Handschuhe tropfte.
    Sprich mit mir,
flehte er stumm die Stimme an.
Ich habe dein Wort befolgt, so gut ich konnte. Sie war nicht da, wo sie hätte sein sollen. Ich konnte sie nicht töten. Soll ich nach ihr suchen? Sie jagen?
    Sein Atem ging schneller bei der Vorstellung, wie er ihr auflauern, sie in die Enge treiben, ihre Angst sehen und sie dann nehmen würde.
    Doch die Nacht blieb totenstill.
    Kein Frosch quakte.
    Keine Zikade sang.
    Keine Grille zirpte.
    Da war nichts als Schweigen und das Geräusch seiner eigenen kurzen, hastigen Atemzüge – sichtbare Wölkchen, die sich mit dem Nebel in der stillen Luft vermischten.
    Die Stimme Gottes schien verstummt.
    Weil er gefehlt hatte.
    Schrecklich gefehlt.
    Und jetzt wurde er bestraft.
    Er versuchte, sich zu konzentrieren. Hatte er sich geirrt? Hatte die Stimme ihm nicht gesagt, er werde zwei Personen in der Hütte antreffen? Zwei, die er opfern sollte? Doch, er war sich dessen ganz sicher. Ein Mann und
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