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Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Titel: Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
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Seine Lenden schmerzten beinahe vor Verlangen.
    Der Retter.
Die Stimme hatte ihm einen Namen gegeben. Er überdachte diesen Namen, betrachtete ihn von dieser und jener Seite und kam zu dem Schluss, dass er ihm gefiel. Er genoss die Vorstellung, dass er derjenige war, von dem alles abhing, derjenige, der letztendlich darüber entschied, wer leben und wer sterben sollte. Es war doch zweifellos ein gutes Zeichen, dass die Stimme ihm einen Namen gegeben hatte? Fast wie eine Salbung oder ein Ritterschlag.
Der Retter.
Ja!
    Er zog im Dunkeln seine Uniform an, die an einem Haken bei der Tür hing: seine Tarnhose und -jacke, die Skimütze und dazu die Stiefel. Seine Waffen hatte er bereits im Pick-up verstaut, gut versteckt in einem verschlossenen Fach im doppelten Boden seiner Werkzeugkiste. Messer, Pistolen, Schalldämpfer, Plastikbomben, sogar ein Blasrohr samt Pfeilen mit vergifteten Spitzen …
    Und noch etwas ganz Besonderes, extra für sie.
    Er schlüpfte aus seinem dunklen Zimmer und trat hinaus in die düstere, nebelverhangene Nacht.
    Er war bereit.
     
    Eve sah auf die Uhr.
    Viertel vor elf abends.
    »Toll«, murrte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Sie war spät dran. Trotz der Dunkelheit und des dichten Nebels trat sie aufs Gas. Obwohl ihr verbeulter Toyota Camry schon fast einhundertneunzigtausend Kilometer auf dem Zähler hatte, machte er dennoch einen Satz vorwärts, zuverlässig wie immer.
    Sie würde nicht ganz pünktlich kommen – na und? Ein paar Minuten Verspätung machten nichts aus.
    Als sie eine Kurve etwas zu rasant nahm, geriet sie auf die Gegenspur und wäre um ein Haar mit einem entgegenkommenden Pick-up zusammengestoßen. Der Fahrer hupte, und sie riss gerade noch rechtzeitig das Steuer herum. Mit wild klopfendem Herzen verlangsamte sie ein wenig.
    Sie zwang sich, ihren krampfhaften Griff um das Lenkrad zu lockern, und atmete tief durch. Roy konnte warten, entschied sie und dachte an den verzweifelten Anruf, den sie vor knapp einer halben Stunde erhalten hatte.
    »Eve, du musst sofort kommen«, hatte er mit gepresster Stimme hervorgestoßen. »Zur Hütte – du weißt schon, da, wo wir als Kinder im Sommer gespielt haben. Die Hütte meines Onkels. Aber beeil dich. Ich … Wir treffen uns dort um elf.«
    »Es ist schon spät«, hatte sie abgewehrt. »Ich will jetzt wirklich nicht …«
    »Ich habe Beweise.«
    »Beweise wofür?«
    »Das sage ich dir, wenn du hier bist. Komm einfach. Allein.«
    »Verdammt, Roy, verschone mich mit diesem Mantel-und-Degen-Getue! Erzähl mir einfach, was los ist!«
    Statt einer Antwort klackte es, dann war die Leitung tot.
    »Nein, warte! Roy! Ach, zum Teufel«, schimpfte sie und drückte ein paar Tasten an ihrem Telefon in der Hoffnung, seine Nummer im Speicher zu finden, damit sie ihn zurückrufen konnte. Doch im Display stand nur
Unbekannte Nummer.
Hilflos knirschte sie mit den Zähnen. Ihr Herz raste vor Nervosität. Was für »Beweise« hatte Roy gefunden? Wovon redete er überhaupt? Während sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zu dem Treffpunkt fuhr, schossen ihr ein halbes Dutzend Möglichkeiten durch den Kopf, von denen keine etwas Gutes verhieß.
    Vielleicht hätte sie besser doch nicht hinfahren sollen. Cole war dagegen gewesen. Er hatte sogar beinahe mit Gewalt versucht, sie zurückzuhalten, was sie erst recht in Rage versetzt hatte. Im Geiste sah sie immer noch sein angespanntes, besorgtes Gesicht vor sich. Aber sie hatte darauf bestanden, sofort aufzubrechen, und hatte auch nicht geduldet, dass er sie begleitete. All seinem Protest zum Trotz war sie in die kalte, neblige Nacht hinausgelaufen.
    Diese Angelegenheit musste sie allein regeln.
    Nun fuhr sie also unter dem mondlosen Himmel Louisianas hinaus in das Sumpfgebiet, wo Roys Onkel Vernon eine alte Fischerhütte besaß. Sofern die Hütte überhaupt noch existierte. Als sie das letzte Mal dort gewesen war, vor etwa zehn Jahren, waren bereits deutliche Anzeichen des Verfalls zu erkennen gewesen. Sie versuchte vergebens, sich vorzustellen, wie die Hütte jetzt aussehen mochte.
    Als sie einen Blick in den Rückspiegel warf, erkannte sie die Sorge in ihren eigenen Augen. Was zum Teufel ging hier vor?
    Sie hatte seit über einem Jahr nicht mit Roy gesprochen.
    Weshalb rief er gerade jetzt an?
    Er steckt natürlich mal wieder in der Klemme. Du kennst doch Roy. Eine typische Borderline-Persönlichkeit. Der Mann hat eine Neurose der ganz besonderen Art.
    Warum springst du dann immer, wenn er pfeift,
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