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Crashkurs

Crashkurs

Titel: Crashkurs
Autoren: Dirk Müller
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Kratzer in die Bordwand geritzt hat, sondern die schon hören, wie die Kammern volllaufen und die ersten Schotte brechen. Und genau wie ein verantwortungsbewusster Kapitän versuchen sie, die Passagiere zu beruhigen, um eine geordnete und kontrollierte Rettungsaktion zu ermöglichen. Das ist sicherlich die ehrenwerteste Form der Desinformation – aber es bleibt dennoch eine. Denn vielleicht ließen sich mehr Leute retten, wenn ihnen die ungeschönte Wahrheit gesagt und ihnen empfohlen würde, an Deck zu kommen, anstatt sie in die Kabinen zurückzuschicken. Denn was, wenn die Rettung des Schiffes misslingt? Die Passagiere bleiben in ihren Kabinen und gehen mit Mann und Maus unter. So wie die Aktienbesitzer mit ihren Depots untergehen, wenn der Markt einbricht. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, die Kabine zu verlassen und an Deck zu kommen oder eben seine Depots zu leeren. Wenn das Schiff stabilisiert ist und keine Gefahr mehr besteht, kann man ja jederzeit mit überschaubarerem Risiko wieder einsteigen. Vielleicht hat man ein paar schöne Stunden unter Deck verpasst (ein paar Prozent Gewinn nicht gemacht), aber man war jedenfalls nicht der Gefahr ausgesetzt, das Leben (das gesamte Kapital) zu verlieren.
    Wenn ich mir die Kommentare aus dem Jahr 2007/2008 anschaue, die von steigender Konsumfreude der Privathaushalte in Deutschland und den tollen Chancen durch die asiatischen Märkte berichten, erinnert mich das zunehmend an die letzten Bilder der Titanic. Da spielte auch noch die Kapelle, als das Schicksal des Schiffes bereits besiegelt war.
    Der oberste Wirtschaftsweise sprach in Interviews im Dezember 2007 davon, dass alles gut wird, weil der private Verbraucher in Deutschland demnächst viel mehr Geld in der Tasche haben wird und damit den Konsum und die Wirtschaft ankurbelt. Da blieb mir zunächst der Mund offen stehen. Bei mir ist diese Geldflut noch nicht angekommen. Und ich frage mich, wo der Verbraucher all das viele Geld plötzlich herbekommt. Oder haben Sie gehört, dass die Energieversorger Ihre Strompreise drastisch senken, dass die Lebensmittelpreise in den nächsten Monaten deutlich fallen werden? Die angekündigte russische Gaspreiserhöhung um wieder einmal 20 Prozent war wahrscheinlich auch nur ein Scherz. Der Russe hat halt einen merkwürdigen Humor!
    Kurzum: Auch hier genügt der gesunde Menschenverstand, um die Aussagen auch der honorigsten Vertreter als das zu erkennen, was sie sind: gutgemeinte Versuche, die Passagiere zu beruhigen. Ich werfe es ihnen nicht einmal vor. Vielleicht müssen sie wirklich so handeln. Aber ich will dennoch nicht als Letzter in der Kabine sitzen.
    Seit dem Frühsommer 2007 warne ich vor einem starken Einbruch der Märkte und empfehle den Menschen seit dieser Zeit in Funk, Fernsehen und Zeitungsinterviews, aus ihren Aktien und Risikoanlagen auszusteigen. In all den Monaten danach wurde mir immer wieder vorgeworfen, das wäre verantwortungslos. Mit welchem Recht wird das behauptet!? Ich sage den Menschen nicht: »Wettet auf fallende Kurse!« Ich sage: »Geht aus dem Risiko, haltet euer Geld fest. Wettet überhaupt nicht!« Das ist der verantwortungsvollste Ratschlag, den man einem Menschen in solch unsicheren Zeiten geben kann. Diejenigen, die seit vielen Monaten die Parole ausgeben: »Halten! Aussitzen! Das müssen Sie langfristig sehen! Nur keine Panikverkäufe!«, handeln verantwortungslos, denn sie empfehlen den Menschen damit, direkt auf steigende Kurse zu wetten.
    Wenn ich unrecht habe, verliert keiner, der meinem Rat gefolgt ist, auch nur einen Euro. Im Gegenteil, er hat sogar noch seine Tagesgeldzinsen verdient.
    Wenn aber diejenigen unrecht haben, die »Halten« empfohlen haben, verlieren die Menschen, die diesem Rat gefolgt sind, Haus, Hof und eventuell ihre Altersvorsorge.
    Wer von beiden ist also unverantwortlich!?

    Nachdem ich in einem Interview vor weiter fallenden Kursen gewarnt hatte, hat mir ein hochrangiger Politiker vorgehalten, ich dürfe vor der Kamera nicht jede Wahrheit sagen.
    Nach einem sehr »deutlichen« Interview meinerseits bei mehreren TV-Sendern fühlte sich Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), genötigt, »die Börsenhändler zur Ordnung zu rufen«. »Sie sollen ihren irrationalen Pessimismus im Zaum halten!«, sagte er.
    Wie war das noch gleich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung!? Werden jetzt diejenigen attackiert, die frei und offen über die Situation sprechen, statt derer, die die
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