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Couchgeflüster

Couchgeflüster

Titel: Couchgeflüster
Autoren: Mira Becker
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genommen. Wir essen heute in der Loggia. Aber mach dich bitte noch etwas frisch.»
    Der unterschwellige Vorwurf in ihrer Stimme suggeriert, dass sie mein Aussehen schlampig findet. Sie belabert mich ständig, Make-up aufzulegen und mein Haar vom Friseur professionell pflegen zu lassen. Geschminkte und gutfrisierte Frauen würden mehr Kompetenz ausstrahlen. Aber ich wage zu bezweifeln, dass mich meine Schüler für fähiger halten, wenn mir nach einer schweißtreibenden Stunde Poweryoga die Wimperntusche über die Wangen liefe.
    «Kann ich dir noch etwas helfen?», frage ich auf dem Weg durch den langen Flur, vorbei an meinem ehemaligen Kinderzimmer. (Meines und nicht Phillips Zimmer hat Mama zu ihrer Praxis umfunktioniert.)
    «Sehr gern. Wenn du wieder bei Atem bist, kannst du den Salat waschen, die Kartoffeln aufsetzen, den Tisch decken und die Erdbeeren für den Nachtisch putzen.»
    Ein Scherz. Seit Mama meine Erziehung als gescheitert ansieht, treibt ihr Humor manchmal skurrile Blüten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das kapiert habe.
    Schuldbewusst erkläre ich mit leiser Stimme: «Das nächste Mal erscheine ich pünktlich und koche mit, versprochen.» Beinahe bin ich versucht, hinzuzufügen: mit getuschten Wimpern und Hochsteckfrisur.
    Meine Mutter schüttelt nur den Kopf und verschwindet in der Küche.
    Ich weiß ja, dass ich meine Zusagen nicht immer einhalte. Aber ich bin voller guter Vorsätze und will heute zur Abwechslung mal eine gute Tochter sein. Deshalb habe ich doch auch brav dieses weiße Sonntagskleid angezogen, das sie mir vor einiger Zeit gekauft hat. Na ja, um ehrlich zu sein: Eigentlich habe ich mich zurechtgemacht, weil ich mein Yogastudio retten will. Und dazu brauche ich vielleicht ihre Unterstützung.
    Runtergekühlt auf normale Gesichtsfarbe, betrete ich wenig später die Loggia. Als Kinder haben wir von hier oben versucht, den Passanten auf die Köpfe zu spucken. Phillip fand das irgendwann zu langweilig und wechselte zu Wasserbomben, wenn Mama nicht zu Hause war.
    Mein Bruder sitzt bereits am schöngedeckten Tisch. «Erster!», begrüßt er mich feixend und zupft selbstgerecht wie der Sieger eines großen Wettbewerbs seinen schneeweißen Hemdkragen zurecht.
    Noch so ein Spiel aus unserer Kindheit: Wer ist zuerst zu Hause? Einer musste die Treppen hochrennen, der andere fuhr mit dem Aufzug, der damals noch störungsfrei funktionierte.
    «Bist du nicht! Wir sind ja nicht gleichzeitig gestartet», erwidere ich patzig und ärgere mich sofort über meine unüberlegte Antwort. Phillip hasst es, zu verlieren. Keine gute Voraussetzung, wo ich ihn doch anpumpen will. Also lenke ich schnell ein und halte ihm die Hand zum Einschlagen hin. «Aber theoretisch hast du natürlich wolkenkratzerhoch gewonnen!»
    Während er einschlägt, huscht ein freches Siegerlächeln über sein Gesicht. «Meine Rede!»
    Phillip ist vier Jahre jünger und aus einem völlig anderenHolz geschnitzt. Nicht nur mental. Auch äußerlich. Die hellblauen Augen, die sanften Gesichtszüge und die Grübchen hat er von Mama geerbt. Die strohblonden Haare sind von meinem Vater. Der raspelkurze Bürstenschnitt im Kampfpiloten-Look ist von Udo Walz.
    Ich finde ja, mit längeren Haaren würde er gut in eine dieser Boygroups passen und Mädchenherzen zum Schmelzen bringen. Aber das hört Phillip natürlich gar nicht gerne, denn er will ein echter Kerl sein. Ein Macho, der sich mit knallharten Muskeln immer den ersten Platz erboxt.
    Ich dagegen bin meiner verstorbenen Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Fotos aus ihrer Jugendzeit beweisen das. Die gleichen wilden Kräusellocken, helle Haut, siebzehn Sommersprossen auf der Nase und hohe Wangenknochen. Dazu eine eher sehnige Figur – und ewig müde. Meine Großmutter schlief genauso gern wie ich.
    «Na, Schwesterherz. Heute schon Erleuchtung gefunden?», scherzt Phillip.
    «Und du, schon den ersten Fehlstart hinter dir?», flachse ich zurück, wohl wissend, dass mein Bruder der Beste in der Fliegerschule ist, wo er sich zum Piloten ausbilden lässt. Als wir uns beim letzten Familienessen hier trafen, erzählte er ganz aufgeregt von seinem ersten Simulationsflug. Die teure Ausbildung ist übrigens auch der Grund, warum er wieder bei Mama wohnt.
    Erstaunlicherweise bleiben Phillips übliche Angebereien heute aber aus. Schweigend erhebt er sich und verkündet, Mama behilflich sein zu wollen. Was ist denn plötzlich los?, frage ich mich. Er hilft doch normalerweise nicht
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