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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11
Autoren: Guillou
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zum ersten Mal war vermutlich die Untertreibung des Tages, wenn nicht des Monats.
    Was ihm nun bevorstand, hatte er sich selbst eingebrockt. Da musste er durch. Seine wenig beneidenswerte Aufgabe bestand darin, seine mitunter auf groteske Weise feindseligen Kollegen beim MI5 anzurufen und zu versuchen, ihnen eine Tagesordnung für das morgige Treffen vorzuschreiben. Keine leichte Sache.
     
    Im Gegensatz zu ihrem Partner Lewis MacGregor war Mouna al-Husseini außerordentlich gut gelaunt gewesen, als sie das hässliche, tortenähnliche Gebäude verlassen hatte. Labbrige alte Pistazien gemischt mit Humus, einem Püree aus Kichererbsen, dachte sie. Nach diesen Farben hatte sie gesucht. Merkwürdige Torte.
    Die Hälfte des Weges hatte sie zurückgelegt. Nun brauchte morgen nur noch der MI5 anzubeißen. Dann wäre die große Operation, die größte aller Zeiten, wahrscheinlich in trockenen Tüchern.
    Zuerst fuhr sie mit dem Taxi ins Hotel und zog sich eine Jeans und einen schwarzen Ledermantel aus einem spanischen Mode­haus über, dessen Namen sie vergessen hatte. Dann schlenderte sie in die Stadt. Vom Duke’s Hotel war es über die St. James’s Street nur ein Katzensprung zum Piccadilly Circus. Es war fünf Uhr, und die Fußgänger rannten sie nahezu über den Haufen. Eine Unart der Londoner, die offensichtlich Angehörige aller Schichten pflegten. Sie wurde genauso oft von Pakistanis ange­rempelt wie von Männern mit Hut und Nadelstreifenanzug. So war das Leben in London eben. Es erinnerte sie an Tokio, aber London war früher anders gewesen, zumindest das London ihrer Kindheit.
    Eine weitere Veränderung waren all die mehr oder minder sichtbaren Überwachungskameras. Wenn der charmante Mac­Gregor oder, schlimmer noch, einer seiner Widersacher oder Kollegen oder einer seiner gegnerischen Kollegen, oder wie auch immer man diese verworrenen Beziehungen innerhalb des britischen Geheimdienstes bezeichnen sollte, sie nun mit den Kameras verfolgt hätte, seitdem sie das Hotel verlassen hatte, konnte man ihr Bild immer noch in irgendeiner Zentrale sehen. Nicht einmal in der U-Bahn war es mehr möglich, der Überwachung zu entgehen. Auch da unten funktionierte das System.
    Wäre sie in London gewesen, um jemanden zu töten, hätte sie Schwierigkeiten gehabt. Aber die Zeiten waren vorbei. Nun hatte sie einen größeren Auftrag.
    Sie betrat ein asiatisches Schnellrestaurant und nahm ein undefinierbares Fischgericht zu sich, bevor sie zur U-Bahn am Piccadilly Circus ging und mit der Piccadilly Line zum Finsbury Park fuhr. Die Fahrt dauerte gut zwanzig Minuten.
    Sie nahm den falschen Ausgang und musste nach dem Weg zur Moschee fragen. Das Gebäude war relativ neu, wahrscheinlich aus den Siebzigern, ein roter Ziegelbau mit grünen Fenster­rahmen, die seltsamerweise an die Farbe des Tortenhauses vom MI6 erinnerten, und einem weißen Minarett, das sich wie ein Schornstein an eine der Ziegelmauern drückte. Es war nicht besonders schön, und außerdem war die ursprünglich weiße Kuppel mit dem Halbmond von der verpesteten Londoner Luft grau geworden. Die Moschee schien geschlossen zu sein, und über dem verriegelten Tor hing deutlich sichtbar eine Überwachungskamera.
    Hinter dem Gebäude setzte sie sich auf eine Bank. Schräg gegenüber lag ein Mietshaus aus den gleichen roten Ziegeln mit weißen Sprossenfenstern. Irgendwo da oben hatten sich vermutlich die Typen vom MI5 bei irgendeinem patriotischen Mitbür­ger eingemietet, um die Moschee rund um die Uhr überwachen zu können. Eine vollkommen idiotische Aktion, besonders wenn man bedachte, was Überstunden in Westeuropa kosteten.
    Komischerweise – jedenfalls war es typisch englisch – hatte die Charity Commission die Schließung der Moschee verfügt. Weder die Polizei noch ein anderes Regierungsorgan, geschweige denn der MI5 (wo die Entscheidung vermutlich in Wirklich­keit getroffen worden war) hätten es gewagt, offiziell eine Moschee dicht zu machen. Aber der Wohltätigkeitskommission waren in einem kultivierten Gespräch die Wünsche der staatlichen Stellen dargelegt worden. Anschließend hatte die Wohltä­tigkeitskommission in guter demokratischer Weise und bestem englischen Geist das Problem genau analysiert und war zu dem Schluss gekommen, dass sich im Kreis der Moschee in Finsbury Park Personen bewegten, die Wohltätigkeit in einem Sinne betrieben, der irgendeiner Regel aus dem viktorianischen England des neunzehnten Jahrhunderts widersprach, in der es um
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