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Cop

Cop

Titel: Cop
Autoren: R Jahn
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das Seitenstechen unerträglich. Sie rennt, bis es nicht mehr geht, bis sie nicht mehr kann.
    Also bleibt sie stehen, stützt sich auf die Knie und schnappt nach Luft. Selbst den Schmerz in ihren Lungen genießt sie. Gierig saugt sie die heiße, saubere Sommerluft ein, sie kann gar nicht genug davon bekommen. Dann hält sie inne, um zu lauschen. Nichts. Sie hört nichts, und als sie sich umschaut, ist auch niemand zu sehen.
    Vielleicht hat er aufgegeben. Vielleicht ist sie tatsächlich frei.
    Ein paar Meter weiter fällt ein breiter Sonnenstrahl durchs Blätterdach. Maggie stellt sich mitten in das weiße Licht. Als Außenstehender würde man ein blasses, zerbrechliches Mädchen sehen, das von innen heraus zu leuchten scheint, während der Rest der Welt im Schatten liegt. Als Außenstehender würde man einen Engel sehen. Aber es gibt hier keinen Außenstehenden. Es gibt nur Maggie und das Licht der Sonne und die Stille des Waldes.
    Diesen einen ruhigen Moment gönnt sie sich, und fast hätte sie sich auch ein paar Tränen gegönnt. Aber nein, sie muss sich zusammenreißen, sie muss weiter. Zuerst geht sie, dann joggt sie, kurz darauf rennt sie wieder.
    Und das Rennen tut gut, auch wenn jeder einzelne Schritt sie schmerzt. Im Keller konnte sie nicht rennen, deshalb genießt sie den vielen Platz, den sie auf einmal hat.
    Fünf Minuten später stößt sie auf eine sonnengebleichte Straße. Risse überziehen den Asphalt wie Flüsse eine Landkarte.
    Links oder rechts? Sie entscheidet sich für links, ohne nachzudenken, ohne zu wissen, warum. Ihre nackten Füße klatschen über den aufgeheizten Teer, und auch dieses Gefühl genießt sie. Der Boden ist fast zu heiß; würde sie nicht rennen, sondern gehen, wäre es bestimmt nicht zu ertragen. Aber sie geht nicht. Sie rennt.
    Als Beatrice nach ihm ruft, sitzt Henry vor dem Fernseher und nuckelt an einer Dose Budweiser wie an einer Mutterbrust.
    »Henry!« Bees Stimme kommt aus der Küche. »Henry, sie ist draußen! Sarah ist aus dem Keller entwischt!«
    »Shit«, murmelt er, steht auf und leert, den Kopf in den Nacken gelegt, das Budweiser bis auf den letzten Rest. Dann stellt er die Dose auf den Wohnzimmertisch. »Wie zum Teufel hat sie das denn geschafft?«
    »Sarah, komm zurück! Sie will abhauen, Henry!«
    »Bin schon auf dem Weg!«
    Henry geht in die Küche – Beatrice steht am anderen Ende des Raums und starrt auf die offene Haustür. Als sie ihn kommen hört, dreht sie sich um.
    »Sie ist draußen.«
    »Verdammte Scheiße!«
    »War doch keine Absicht.«
    »Scheiße!«
    »Ich hab’s dir gleich gesagt!«
    Ohne weitere Worte eilt er zur Haustür – und sieht Sarah barfuß über die geschotterte Einfahrt rennen. Anscheinend will sie zum Wald westlich des Hauses.
    Henry rattert die Vortreppe hinunter und nimmt die Verfolgung auf. Sofort wird ihm speiübel. Für so was ist er einfach zu alt. Sarah wird bereuen, dass sie weggerannt ist, dafür sorgt er schon. Sie wird bereuen, dass sie ihn gezwungen hat zu rennen. Sie wird vor Reue schreien , oh ja, das wird sie. Sie wird wochenlang schreien.
    Am Waldrand wirft sie einen Blick zurück.
    »Du«, brüllt er zwischen zwei keuchenden Atemzügen, »du bleibst jetzt stehen, Sarah!« Noch ein Keuchen. Bestimmt hat er gleich einen Herzinfarkt. »Bleib verdammt noch mal stehen!«
    Sie fürchtet sich vor ihm, das weiß er. Dabei wäre es ihm lieber, wenn es auch anders ginge, wenn sie endlich einsehen würde, dass sie nun zu dieser Familie gehört. Immerhin hatte sie alle Zeit der Welt, um sich daran zu gewöhnen. Warum macht sie es allen so schwer? Vor allem sich selbst? Es ist jammerschade, aber so was kann man sich eben nicht aussuchen. Wenigstens fürchtet sie sich vor ihm, und deshalb tut sie, was er sagt.
    Entsprechend erwartet Henry, dass sie seinem Befehl gehorcht. Er kann es sich gar nicht anders vorstellen. Doch sie bleibt nicht stehen, sondern dreht sich wieder um und verschwindet im Unterholz.
    »Fuck!«
    Er rennt zum Wald und hinein in ihn.
    Zwischen den Stämmen blitzt ab und zu ihr blaues Kleid auf, daran kann er sich orientieren. Äste kratzen ihm über das Gesicht und verhaken sich in seiner Kleidung, während er versucht, Sarah nicht aus den Augen zu verlieren. Ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn er nicht auf den Weg achtet, läuft er noch geradewegs gegen einen Baum. Bald sieht er sie überhaupt nicht mehr – bis dreißig, vierzig Meter vor ihm wieder das Blau des Kleides durch das Blattwerk blitzt. Er sprintet
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